Die Saga vom Eisvolk 04 - Sehnsucht
schwarzem, pelzverbrämtem Tuch. Liv, die eigenhändig dabei half, die großen Steinplatten der Feuerstelle zu weißen, kletterte von ihrem Stuhl herunter und begrüßte ihre Tochter, die so überraschend eingetroffen war. Cecilie lehnte rasch Livs Angebot ab, ihr beim Ablegen behilflich zu sein. Nur keine weißen Flecken auf dem schönen Umhang!
»Ach, wie herrlich, wieder zu Hause zu sein! Nein, wie schön ihr alles hergerichtet habt! Liebste Mutter, wascht Euch nur gleich, damit ich euch alle umarmen kann O nein, jetzt fange ich auch noch an zu weinen, und das wollte ich auf keinen Fall, das habe ich mir fest vorgenommen, ach Vater, ihr alle habt mir so unsagbar gefehlt!«
Sie fiel Dag in die Arme, überwältigt von Trauer über alle, die nicht mehr am Leben waren. Charlotte, Jacob, Sunniva… das waren die Angehörigen dieses Hauses. Und auf Lindenallee der eigentliche Kern der Familie - Tengel und Silje. Es dauerte eine Weile, bis Cecilie sich wieder gefangen hatte, dann setzten Mutter und Tochter sich in den großen Salon und führten ein Gespräch unter vier Augen.
»Ach übrigens … Was ist denn aus dem Mann mit dem ehrwürdigen Namen geworden?« fragte Liv und tat so, als hätte sie vergessen, wie er hieß. In Wirklichkeit hatte sie sich in so manch stiller Stunde Cecilie als Markgräfin ausgemalt. Der Mann schien ja sehr nett zu sein, nach den Briefen ihrer Tochter zu urteilen.
»Alexander Paladin?« sagte Cecilie leichthin. »Nun ja, ich sehe ihn ab und zu. Aber ich habe so viele Verehrer.« »Tatsächlich?« sagte Liv hingerissen.
»O ja. Ich habe die freie Auswahl. Ach schau, den Krug hier habt ihr immer noch? Nein, ich werde ganz sentimental!« Sie plauderte drauflos, um ihren Schmerz zu verbergen. Und gleich darauf bat sie um Erlaubnis, auf ihr Zimmer gehen zu dürfen, um sich von der Reise zu erholen.
Alexander Paladin… Während Cecilie auspackte, wanderten ihre Gedanken zurück. Sie konnte nicht leugnen, daß sie von ihm geträumt hatte. Meistens hielt Cecilie sich auf Schloß Fredriksborg nördlich von Kopenhagen auf, weil die Kinder des Königs dort lebten. Manchmal war auch der Markgraf dort, aber nicht sehr oft. Hin und wieder traf sie ihn in Kopenhagen, wenn sie einen ihrer seltenen Besuche in der Hauptstadt machte. Aber es waren fast immer zufällige Begegnungen - wenn sie sich auf den Korridoren des Schlosses oder bei Empfängen über den Weg liefen. Dann kamen sie sofort miteinander ins Gespräch, und es war nicht Cecilie, die die Initiative ergriff.
Aber obwohl er, wie er es ausdrückte, »seine schützende Hand über das junge norwegische Mädchen halten wollte, das so wehrlos den Intrigen des Hofes ausgesetzt war«, hatte er sich immer seltsam ausweichend verhalten. Hin und wieder kam es zwar vor, daß er sie aufsuchte und sie bat, ihn zu einem Konzert bei Hofe oder einem Schauspiel oder irgend einer anderen Veranstaltung zu begleiten, die der König arrangiert hatte. Sie sagte gerne zu und fühlte sich auch wohl in seiner Gesellschaft. Aber der rastlose, beinahe gejagte Ausdruck in seinen Augen entging ihr ebensowenig wie die verstohlenen Blicke von anderen.
Und er sagte niemals etwas, aus dem man hätte schließen können, daß er auch nur im mindesten in sie verliebt gewesen wäre. Er berührte sie auch niemals - außer wenn andere Leute in der Nähe waren. Dann legte er manchmal seinen Arm vertraulich um ihre Schulter und flüsterte ihr etwas völlig Belangloses ins Ohr. Lächelnd, so als wären sie sehr vertraut miteinander.
Aber am Ende verabschiedete er sich immer vor ihrer Tür, küßte ihr die Hand und dankte ihr für ihre angenehme Gesellschaft.
Doch sie konnten gut miteinander reden. Cecilie war verwirrt und verstand seine Haltung nicht - bevor das Entsetzliche passierte, Schlag auf Schlag.
Immer noch brannten ihr die Wangen, wenn sie daran dachte.
Cecilie merkte, daß sie mit dem Auspacken aufgehört hatte. Statt dessen hatte sie sich aufs Bett gesetzt, so als hätten ihre Beine den Dienst versagt. Müde von der Reise und von ihren Gedanken gequält sank sie zurück, einen Arm quer über die Augen gelegt.
Passiert war es unmittelbar bevor sie die Kinder von Fredriksborg zum Kloster Dalum begleitet hatte, wo sie bei ihrer Großmutter aufwachsen sollten, Ellen Marsvin, einer so entfernten Verwandten von Cecilies nichtsnutzigem Großvater Jeppe Marsvin, daß man beinahe gar nicht von Verwandtschaft reden konnte. Gut für die Kinder, daß sie von hier fort kommen,
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