Die Saga vom Eisvolk 04 - Sehnsucht
einem Engel verblaßt davor so rasch. Cecilie, was sollen wir nur tun? Mein Körper brennt so heiß nach der langen Enthaltsamkeit in all diesen quälenden Jahren.«
»Das geht dir nicht allein so«, flüsterte sie. »Wie gut, daß ich in ein paar Tagen abreise.«
»Ja«, sagte er aufrichtig. »Ich werde zu Gott beten, daß wir uns vorher nicht mehr sehen.« »Ich auch.«
Er lächelte traurig. »Wie tröstlich zu wissen, daß wir beide im selben Boot sitzen.«
Die Tür ging auf. Beide fuhren erschrocken zusammen, atmeten aber erleichtert auf, als sie sahen, daß es Tarjei war. Sie konnten gehen. Sie nickten einander nur kurz zu, dann eilten sie jeweils in ihre Richtung.
Aber Cecilie ging auf leichten Füßen heim. Wie herrlich war es doch, zu wissen, daß man begehrt wurde. Und eine unglückliche Liebe versetzte den Gefühlen, die in ihr brodelten, noch den letzten kleinen Kick.
12. KAPITEL
Herr Martinius hatte keine so schöne Heimkehr.
Schon in der Diele vernahm er das ehrbare steife Rascheln ihrer Röcke, als seine Frau durch die Zimmer eilte, um ihn zu empfangen.
Sie hatte wieder diesen kalten, forschenden Ausdruck in den Augen, den sie immer vergeblich durch eine zuckersüße Stimme zu kaschieren versuchte.
»Du kommst spät. Wir mußten schon mit dem Essen anfangen. Was hat dich so lange aufgehalten?«
Ehrlich, wie er war, sagte Martin: »Wir mußten den Verletzten nach Lindenallee transportieren.«
Die schöne Frau Julie sah rot, als sie das hörte. »Wir? Seit wann sind denn grobe Arbeiten die Angelegenheit eines Pastors?«
»Du weißt, daß sie das manchmal sind, Julie. Sie haben jede hilfreiche Hand gebraucht. Tarjei und Cecilie hatten genug damit zu tun, den Verletzten zu versorgen.«
Wie schön es sich anfühlte, ihren Namen auszusprechen! Es wärmte den ganzen Körper.
Aber Julie gab sich keine Mühe mehr, die Kälte in ihren Augen zu verbergen. Trotz Martins unschuldigem und aufrichtigem Gesichtsausdruck witterte sie eine Rivalin. Sie hatte schon immer die Leute von Lindenallee und von Grästensholm gehaßt und verachtet. Ihr fehlendes Interesse an der Kirche und ihr mangelhafter Respekt für die Erste Dame des Kirchplatzes waren ihr schon immer ein Dorn im Auge gewesen.
»Cecilie? Meinst du Fräulein von Meiden? Diese schamlose Weibsperson, die ihre Mißgeburt von einem Neffen die Kirche mitgebracht und es zugelassen hat, daß er das heilige Taufbecken unseres Herrn entweiht? Dieselbe, die du von der Lindenallee zum Schloß begleitet hast?«
Herr Martinius legte immer pflichtschuldigst Zeugnis da über ab, was er den ganzen Tag getan hatte. Ihre Gnaden, seine Gattin, erwarteten das.
»Ja, die meine ich. Aber jetzt bist du ungerecht ihr gegenüber Sie ist ein gutes Mädchen.«
Schlimmer hätte er sich nicht ausdrücken können! Sie waren inzwischen im Speisesaal des Pfarrhofs angelangt, den Julie zweifellos sehr geschmackvoll eingerichtet hatte. Ihre schön geschwungen Augenlider waren jetzt verkniffen. Nachdem sie sich überzeugt hatte, daß die Dienerschaft außer Hörweite war, sagte sie:
»Und warum hat das dann so lange gedauert?«
»Wir mußten Krankenwache halten bei dem armen Mann, während Tarjei seinem Vater zur Hand ging.« »Du und sie?« »Ja« »Allein?« »Ja, aber was soll dieses merk …«
Julias Mund war zu einem schmalen Strich geworden. »Was bist du nur für ein erbärmlicher Hurenbock!« fauchte sie. »Selbstverständlich ist nichts Unschickliches passiert, Julie! Beruhige dich doch!«
»Und das willst du mir allen Ernstes weismachen! Du, der du jeden einzigen Abend an meine Tür gehämmert hast, die ganze erste Woche unserer Ehe hindurch! Du hast immer noch nicht gelernt, deine schändlichen Gelüste im Zaum zu halten, wie ich merke. Und sie, dieses Flittchen …«
»Jetzt schweigst du, Julie! Es ist nichts passiert!« Seine Worte schürten ihr Mißtrauen natürlich um so mehr. »Gewiß. Wie du meinst.«
Er sank auf einen Stuhl. Er war hungrig und erschöpft nach der ganzen Aufregung um den Patienten. Deshalb wählte er seine Worte vielleicht nicht mit der nötigen Vorsicht. »Julie, wenn du sowieso nur das Schlechteste von mir denkst, könnte ich dir eines Tages vielleicht wirklich untreu werden.« »Mit Fräulein Cecilie?«
»Mit wem auch immer«, sagte er müde. »Kann ich jetzt mein Essen haben?« »Nein, nicht bevor du gebeichtet hast.«
»Liebste Julie, du weißt, daß da nichts ist. Untreue liegt mir nicht. Aber ich bin ein Mann, Julie, ein
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