Die Saga vom Eisvolk 05 - Todsünde
als Jesper die beiden Brüder holte. Lange saßen sie bei Tarjei im Lazarettzelt und unterhielten sich und sehnten sich nach Hause, alle vier, bis allzu viele Verletzte hereingetragen wurden und Tarjei wieder an seine Arbeit gehen mußte.
Doch drei von ihnen empfanden große Ruhe nach dieser Begegnung. Der Vierte verspürte nur Erregung. Eine dumpfe, erwartungsvolle Erregung…
Nachdem Tillys Truppen vor Nienburg verjagt worden waren, kam es südlich der Stadt zu einem neuen Zusammenstoß. Der ereignete sich derart unerwartet, daß alle in Christians Heer von den wilden Signalen des Hornbläsers geweckt wurden.
Tarjei hatte zu dem Zeitpunkt zwölf Stunden im Feldlazarett gearbeitet und war gerade auf dem Weg ins Bett. Daran war jetzt nicht zu denken. Er gab seinen Helfern Befehl zur höchsten Bereitschaft.
Trond schwang sich auf sein Pferd und gab an seinen kleinen Trupp scharfe Kommandos aus. Er wußte genau, was er zu tun hatte.
Jesper rannte verwirrt hierhin und dorthin, ohne seine Hose zu finden, bis Brand ihm gebieterisch Einhalt gebot und ihm die Hose reichte, die die ganze Zeit vor seiner Nase gelegen hatte. Beide eilten hinaus zu ihrer Kompanie, Brand mit stark klopfendem Herzen.
Alexander von Paladin nahm sich nicht die Zeit, erst den Helm aufzusetzen oder den Harnisch anzulegen. Er jagte auf seinem Pferd vor seiner Abteilung her, das schwarze Haar vom Nachtwind nach hinten geblasen, den Umhang hinter sich herflatternd. Seine Reiter folgten ihm anstandslos, denn Alexander war ein fähiger und beliebter Anführer.
Das Eisvolk hatte sein Schicksalsnächte gehabt. Wie in der Nacht, als die junge Silje Dag und Sol gefunden hatte und Tengel und Heming Vogtmörder begegnet war. Oder wie die Nacht, in der ihr Wohnsitz im Tal des Eisvolkes bis auf den Grund niedergebrannt und so gut wie alle Bewohner getötet wurden. Oder damals, als das schauderhafte Kind Kolgrim geboren wurde und seine arme Mutter dabei ihr Leben lassen mußte…
Dies war wieder eine solche Nacht, in der viele Schicksale des Eisvolkes entschieden wurden.
Der Kampf dauerte die gesamte dunkle Nacht. Und Alexander von Paladin mußte bald büßen, daß er seinen Harnisch nicht angelegt hatte. Mit einem kleinen Trupp wurde er in einen Nahkampf mit katholischen Söldnern verwickelt. Alexander von Paladins Männer schienen schon zu siegen, als ein Musketenschuß krachte, und Alexander die Arme nach hinten zu seinem brennend schmerzenden Rücken warf. Zwei seiner Männer ergriffen ihn, bevor er vom Pferd fallen konnte.
Der Kampf ging weiter. Vor und zurück wogte er. In das schwere Grollen der Kanonen mischten sich Schüsse und Wehgeschrei. Aber Alexander hörte nichts von alledem.
Er erwachte in einem Meer von kleinen Flammen. Ich bin tot, dachte er. Über mir wird Leichenwache gehalten. Aber dann begriff er, daß er sich im Lazarettzelt befand und schloß wieder die Augen. Er war so müde, so unendlich erschöpft.
Eine ruhige Stimme sprach zu ihm. Etwas von einer Kugel im Rückgrat.
Cecilie, dachte er. Aus völlig unerfindlichen Gründen, denn die Stimme gehörte einem Mann.
Ihm tat es nirgends weh, er hatte keine Angst. Die tiefe Stimme war so beruhigend und tröstend. Cecilie, dachte er wieder.
Dann schwanden ihm die Sinne vollkommen. Draußen auf dem Schlachtfeld kämpften Jesper und Brand gegen den Feind. Sie hatte sich aus den Augen verloren, und Jesper war verzweifelt. Er kannte sich im Kampf nicht aus, wollte niemanden töten. Als ihn niemand sah, schlich er sich still und leise zu einem hügeligen Waldgebiet davon. Jedenfalls glaubte er sich unbeobachtet.
Die Nacht war recht hell, eine Art schmutziggraues Halbdunkel herrschte. Man sah und sah auch wiederum nicht, was man vor sich hatte.
An seiner Front war Trond in der Offensive. Er erteilte seinen Männern vernünftige Befehle, denen sie sofort Folge leisteten, denn nun verließen sie sich ganz und gar auf seine Soldateneigenschaften.
Brand kämpfte einsam, verschlossen, verbissen, mit dem Degen in der Hand.
Tarjei war todmüde. Die letzte Operation, eine Rückenverletzung, war sehr schwierig gewesen. Das frühe Morgenlicht war als hellerer grauer Streifen am Horizont zu erahnen, als er aus dem großen Zelt in das Wäldchen wankte, um sich eine Weile zu verstecken. Ohne sich recht im klaren zu ein, wo er war, kroch er auf einen kleinen Hügel, legte sich den Windschatten hinter einen Steinblock und schlief ein. Dort hatte er seine Ruhe vor nörgelnden Helfern und Patienten
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