Die Saga vom Eisvolk 06 - Das böse Erbe
dich lesen und schreiben lehren, und ich führe dich in die wichtigsten Gesetze ein. Aber du mußt dir klar darüber sein, welcher Zukunft du entgegengehst! Der Kampf für Gerechtigkeit verschafft einem viele Feinde! Allzuviele Große werden ihr Recht verteidigen wollen, billige Arbeitskräfte zu beschäftigen, ihr Recht, sie wie Hunde zu behandeln. Hast du den Mut, dich dem Haß der Mächtigen auszusetzen?«
»Ich habe genug gesehen, was das Verhalten der Mächtigen betrifft. Ich fürchte mich nicht.«
»Gut! Dann hast du unser aller Unterstützung, in jeder Hinsicht. Willst du?«
Kaleb war überwältigt. Aber nachdem er den Schock einigermaßen überwunden hatte, sagte er voller Begeisterung ja. Doch er bestand darauf, seinen Lebensunterhalt auf dem Hof zu verdienen. Das wurde ihm gewährt. Und so zog er in das Zimmer von Mattias, der sehr froh darüber war, und alle waren es zufrieden.
Eines Tages beschloß Dag, daß die beiden Jungen ihn auf eine Reise nach Kongsberg begleiten sollten.
Liv war besorgt. Die traurigen Ereignisse hatten Dag besonders zugesetzt, wo er doch schon vorher nicht ganz gesund gewesen war. Oft hatte er plötzliche Anfälle von Atemnot, die auf Beschwerden mit dem Herzen hindeuteten. »Willst du wirklich fahren, Dag?«
Aber er sah jung und fröhlich aus. »Diese Sache beschäftigt mich kolossal, Liv, das weißt du. Schließlich geht es um unseren kleinen Mattias, nicht wahr? Und um viele, viele anderen Jungen wie ihn.«
Sie sah den Eifer in seinem Gesicht und mußte sich geschlagen geben.
Also fuhren die drei nach Kongsberg, wo Dag die Herren der Gerichtsbarkeit gut kannte. Es wurde ein ordentliches Gerichtsverfahren anberaumt, und die Angeklagten waren Nermarken und Hauber.
Beide leugneten natürlich. Waren unschuldig wie neugeborene Lämmer. Kinder in den Gruben? Gott bewahre, nein! Kommt doch und seht selbst!
Das hätten sie nicht sagen dürfen.
Das Gericht nahm sie beim Wort. Die beiden Angeklagten fürchteten sich trotzdem nicht, denn sie hatten allen Grubenarbeitern angedroht, daß sie ihre Arbeit verlieren würden, und Schlimmeres, wenn sie auch nur das Geringste über irgendwelche kleinen Jungs in der Grube verlauten ließen!
Nun war ja Dag von Meiden nicht der zuständige Obergerichtsherr in Kongsberg, aber er war es, der die beiden Männer angeklagt hatte. Als Großvater eines der beiden Kinder hatte er das Recht dazu. Er war die ganze Zeit dabei, und seine Position wog schwer. Das Gericht vertraute seinem Urteil vorbehaltlos. Aber vertraute es den Jungen?
All die gesetzeskundigen Männer nahmen Mattias und Kaleb mit hinunter in die Grube, nachdem sie die beiden zuerst gründlich verhört hatten. Wie sah es dort unten aus? Beschreibt uns die Grube! Beschreibt den Raum, in dem ihr gehaust habt! Erzählt, wie es euch gelungen ist zu fliehen!
Nermarken und Hauber jaulten auf. Ein bösartiger Arbeiter habe den Jungen die Ohren mit all dem Zeugs vollgeheult, um den Vorgesetzten das Messer an die Kehle zu setzen!
Aber die Jungen beschrieben äußerst genau jede Einzelheit in der Grube, berichteten sogar von Details, die man normalerweise gar nicht bemerkt hätte.
Das Gericht beriet sich. Natürlich hatte keiner der Arbeiter gewagt, etwas zu bezeugen. Aber sie hatten die Worte der Kinder auch nicht bestritten. Sie verweigerten ganz einfach jede Aussage. Und allein das sprach ja schon eine deutliche Sprache.
Die Beschreibung der Jungen stimmte bis ins kleinste Detail. Sie hatten sogar jeden einzelnen Hauer beim Namen nennen können. Und das Gericht ordnete an, daß man das Feuer im Ofen löschte, und schickte einen kleinen dünnen Mann in die Esse hinauf, der bestätigte, daß man auf diesem Wege hinaus gelangen könne - obwohl niemand verstand, wie sie den todkranken Knut hatten mitschleppen können. Das Gitter am Ausstieg war natürlich wieder eingemauert worden, aber es war noch deutlich zu sehen, daß das erst kürzlich geschehen war. Den abschließenden Beweis jedoch erbrachte Kaleb. Er konnte die Stellen zeigen, an denen Sören und einige andere Knaben in der Grube begraben waren. Sofort wurden Spaten herbeigeschafft - und damit waren Nermarken und Hauber definitiv ihrer Verbrechen überführt. Natürlich versuchten sie, sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe zu schieben, aber es half nichts. Beide wurden ohne Gnade gehängt.
Das allerdings mußten die Jungen nicht mitansehen. Auch nicht, daß ein doppeltes Seil nötig war, um Nermarken aufzuknüpfen. Und
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