Die Saga vom Eisvolk 06 - Das böse Erbe
ließ ihm Zeit, sich auszuruhen.
Er war so bitterlich enttäuscht, daß er sich ihres Vertrauens nicht würdig erwiesen hatte.
»Jetzt hör mir mal zu«, sagte Liv resolut. »Mein Mann Dag, den du so sehr bewundert hast, hat in seinen jungen Jahren gegen dieselben Windmühlen gekämpft wie du. Er versuchte die Bedingungen für die Arbeiter im Sägewerk zu verbessern - und traf auf erbitterten Widerstand. Damals mußte er aufgeben, er war zu jung und unerfahren. Du bist also nicht der einzige.«
Kaleb erwiderte nichts. Er nickte nur dankbar. Er war ein sehr kräftiger Mann geworden, mit markanten, fast erschreckend klaren Gesichtszügen unter dem hellen Haar. Seine Augen leuchteten ebenso blau wir früher, aber der Eifer, der Lebensfunke, die Arbeitslust waren daraus verschwunden. Nun waren sie nur noch mißtrauisch zusammengekniffen und schmal. Es macht keinen Menschen glücklich, wenn er die ganze Zeit nur auf Widerstände trifft.
Das war der Kaleb, den Mattias bei seiner Heimkehr antraf. Es schmerzte den jungen Arzt, seinen Freund so verändert zu sehen - als Zyniker, ohne jeden Glauben an die Menschen.
Mattias besuchten den alten Mann und gab ihm ein Stärkungsmittel. Viel mehr konnte er nicht für ihn tun, der alte Körper war ganz einfach erschöpft.
Der Alte wollte etwas sagen. »Mein Junge«, sagte er mit zitternder Stimme. »Kannst du, der du so sanfte Augen hast, nicht etwas für mein Enkelkind tun?«
Mattias' Stimme war immer freundlich-munter, so als ob er fast übersprudelte vor eingesperrter Lebensfreude, vor Liebe zu allem Lebendigen und zum Leben selbst. »Worum geht es denn?«
»Die kleine Eli… Sie arbeitet da bei dieser NygärdBäuerin. Und ich glaube, es geht ihr nicht gut. Sie sieht so mager und blaß aus. Und sie ist schon seit vielen Tagen nicht mehr hier gewesen… wo sie doch sonst immer bei mir vorbeischaut.«
»Ich werde auf dem Heimweg mal nach ihr sehen.« »Gott segne dich dafür«, sagte der Greis erleichtert. Mattias kannte die Bäuerin auf dem Nygärdhof seit seiner Kindheit. Eine unglaublich geizige Frau, die alles an sich raffte, was sie nur greifen konnte, ohne auch nur einen Schilling dafür zu bezahlen. Schmarotzte, wo es nur ging. Mattias bezweifelte genau wie der Alte, daß die kleine Eli - die er nicht kannte - es besonders gut auf dem Hof hatte.
Seine bangen Ahnungen hatten ihn nicht getäuscht. Aber daß es so schlimm stand…
Die Bäuerin war Witwe, und die Kinder hatten den elterlichen Hof verlassen. Als Mattias hereinkam, hörte er ein schwaches Stöhnen vom Bett her, obwohl er eine Frauengestalt am Fenster gesehen hatte, als er auf den Hof fuhr.
»Oh, oh«, stöhnte jemand. »Oh, ich armes Weib!« Er ging hinüber zu dem Bett, in dem die Nygärd-Bäuerin lag und aussah, als müsse sie sterben. Aber unter der Felldecke schauten die Schuhspitzen hervor. »Nun, wie sieht es aus, gute Frau?«
»Ach, dem Himmel sei ewiglich gedankt, da kommt ja der liebe Doktor! Hier lieg ich nun, ich armes Weib, krank und hilflos, keiner kümmert sich, dies faule Stück von einer Magd hat keine Lust nich, morgens aufzustehen und mir zu helfen! Oh, ich hab ja solche Schmerzen, solche Schmerzen!«
»Wo tut es denn am meisten weh?« fragte Mattias, während er sich umschaute. Die Tür zu einer Kammer neben der Küche stand einen Spalt offen, er konnte ein Bett sehen, in dem offensichtlich jemand lag. Von dort drinnen kam kein Laut. »Ahh, es sticht hier in der Seite, und… « »Darf ich mal fühlen?«
»Nee, nee«, rief die Frau erschrocken, denn ihr fiel ein, daß sie ja vollständig angezogen war. »Nee, oh, der Kopf tut am schlimmsten weh. Es hämmert und klopft und schmerzt da drin, daß ich es nich aushalten tu! Kein Auge nich hab ich zugetan heute nacht, und… «
»Ich werde Euch ein Pulver geben, das hilft. Aber es ist ziemlich teuer«, sagte Mattias, der sich einen kleinen Spaß machen wollte.
»Nee, ach nee, ich kann doch nich dem Dokter seine kostbare Meddezin nich aufbrauchen! Gibt es denn kein Mittel nich, das ein bißchen mehr umsonst ist? Ein kleine Prise, die übriggeblieben ist… ?« »Im Moment nicht.«
Sie seufzte. »Ach, wenn der Dokter doch bloß einer armen, einsamen Frau eine neue Magd besorgen möcht, eine die nich so selbstsüchtig und nachlässig is wie die da, ich wollt ihm ja sowas von dankbar sein. Die da frißt mir ja bloß die Haare vom Kopf, will mehr als einmal am Tag Brot, die… «
»Ihretwegen bin ich gekommen. Ihr Großvater hat mich
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