Die Saga vom Eisvolk 06 - Das böse Erbe
war halb erstickt vor bitterem Zorn. »Und ich habe Euch bewundert - damals!« rief sie ihm nach. Er drehte sich nicht einmal um.
Nach dem Abendessen kamen Are und Brand mit Matilda und Andreas herauf, um sie zu begrüßen, aber Gabriella war in ihrer eigenen Schwermut versunken und beantwortete ihre Fragen mit einem geistesabwesenden Lächeln. Sie selbst stellte keine Fragen, wie es ihnen ging und ob es Neuigkeiten gab.
Kalebs Worte hatten sie empört. Sie wußte ja, daß ihr Benehmen falsch war, aber sie schaffte es nicht, daran etwas zu ändern. Dazu war sie viel zu sehr am Boden zerstört.
Es war, als ob ein lähmender Nebel sich auf sich herabsenkte, als sie die Nachricht von Simons Verrat erfuhr. Und sie konnte sich nicht daraus befreien.
Es war nicht so, daß sie es ihm als Verrat anrechnete, daß er sie wegen einer anderen verlassen hatte. Gefühle konnte man nicht erzwingen, und sie hätte niemals mit ihm verheiratet sein wollen, wenn er nur aus Rücksicht bei ihr blieb, während er in Gedanken bei der anderen Frau war. Nein, es war die Art und Weise, wie er es getan hatte. Diese grausame, brutale Feigheit. Die konnte sie ihm nicht verzeihen.
Sie hatte ihn ja eigentlich kaum gekannt. Bei den Begegnungen, die von beiden Elternpaaren arrangiert worden waren, hatten sie harmlos und wohlerzogen miteinander geplaudert. Sie hatte sich recht unnahbar und sehr jungfräulich gegeben, denn so hatte ihre Mutter es ihr eingeschärft. Aber sie hatte ihre Träume um ihn gesponnen, ziemlich schüchterne Träume, denn sie mochte kaum an ihr Glück glauben, daß dieser gutaussehende Offizier Gefallen an ihr fand. Und das hatte er ja auch nicht getan.
Plötzlich bemerkte sie, daß die Gäste sich zum Aufbruch bereitmachten. Und sie hatte die ganze Zeit ihren eigenen Gedanken nachgehangen!
Sie sagte freundlich »Auf baldiges Wiedersehen!« zu Andreas, der sich gut in die Reihe der Lindenallee-Besitzer einfügte. Tengel war natürlich etwas ganz Besonderes gewesen, aber sein Sohn Are, Enkelsohn Brand und Urenkel Andreas waren allesamt erdverbundene, wuchtige und gutmütige Männer. Sie machten niemals viel Aufhebens um sich. Zuverlässige, charakterstarke Menschen, die anderen Sicherheit gaben.
Andreas war ein Jahr älter als Gabriella. Wenn sie miteinander sprachen, dann über alltägliche Sachen. Emotionen, verletzte Gefühle und ähnliches lagen außerhalb von Andreas' Welt.
Über so etwas konnte man mit Mattias reden. Aber das hatte Zeit bis später, jetzt mußte sie erst einmal allein sein.
Sie bekam das Zimmer ganz am Ende des Flurs im ersten Stock. Großmutter wohnte auf demselben Flur, ebenso die drei fremden Kinder. Elis Zimmer grenzte an das von Gabriella. Kalebs Zimmer dagegen lag neben dem von Mattias, in dem Teil des Hauses, der von Tarald und seiner Familie bewohnt wurde.
Gabriella wälzte sich unruhig in ihrem Bett. Eine seltsame Unruhe hatte sie ergriffen, die sie sich nicht erklären konnte…
Aber so unruhig war sie nicht, daß sie in dieser ersten Nacht nicht wie ein Stein schlief- obwohl sie überzeugt gewesen war, daß sie niemals würde schlafen können, so unglücklich, wie sie war!
11. KAPITEL
Am nächsten Tag erhielt sie den ebenso überraschenden wie gnadenlosen Auftrag, sich um die Kinder zu kümmern.
»Aber ich muß mich ausruhen«, beklagte sie sich bei den drei anderen.
»Um Eure verletzten Gefühle zu pflegen?« sagte Kaleb. »Kommt gar nicht in Frage.«
Liv sagte munter: »Nimm diesen Haferbrei, Gabriella! Und versuche, ob du etwas davon in Eli hineinbekommst!«
»Wenn sie keinen Haferbrei essen mag, dann soll sie es eben lassen«, maulte Gabriella. »Ich habe keine Lust, mich mit ihren Launen zu plagen.«
»Das steht hier gar nicht zur Debatte«, sagte Liv geduldig. »Versuch es bitte!«
Mit einem gequälten Seufzer ging Gabriella zu dem kleinen Mädchen hinauf, das unverändert da lag, die Nasenspitze kaum sichtbar in all den Kissen.
»Hier kommt dein Brei«, sagte Gabriella mit einem Gesichtsausdruck, der ein Lächeln darstellen sollte. »Jetzt iß!«
Das Mädchen rührte sich nicht. Sah sie nur mit aufgerissenen Augen an.
»Lieber Himmel«, sagte Gabriella ungeduldig. »Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit. Los, setz dich auf!« Eli machte eine kleine Bewegung mit dem Kopf, so als wollte sie ihn anheben, aber er sank sofort wieder zurück. »Na, das wollen wir doch mal sehen… !« Gabriella packte sie an der Schulter, um das Mädchen aufzurichten, legte eine Hand um
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