Die Saga vom Eisvolk 07 - Das Spukschloß

erzählt, Tancred?«
    Er schlug die Augen nieder. »Ich fand, daß es sich so dumm anhörte. Schämte mich wohl.«
    »Ja, versteht ihr denn nicht? Hätte er mich gefragt, dann hätte ich ihm erzählen können, daß Alt-Askinge sehr wohl existiert!«
    »Wie bitte?« Tancred schnappte nach Luft.
    »Ja, sicher. Drinnen in dem uralten Wald, gleich hinter Neu-Askinge. Ich bin ein paarmal dagewesen. Aber gefallen hat es mir nicht. Ich kann gut verstehen, daß Tancred sich fürchtete. Im Mondschein und so.« »Aber warum haben die mich angelogen?«
    Alexander sagte ruhig: »Weil du nur ein paar Tage hierbleiben wolltest. Ursula war verreist, die Diener neu. Es war leicht, dich hinters Licht zu führen, und du konntest niemanden fragen.«
    »Aber warum? Und die Hexe, die ich getroffen habe?« »Das versteh' ich auch nicht«, sagte Molly verblüfft.
    Sie wirkte so einnehmend, wie sie dasaß mit der Decke bis über beide Ohren, fand Tancred. Am liebsten wäre er zu ihr gegangen, um sie in den Arm zu nehmen und ihr zu sagen, daß sie sich vor nichts zu fürchten brauchte, solange er in der Nähe war. Aber er hatte das Gefühl, daß er bis jetzt eine jämmerliche, um nichts zu sagen lächerliche, Figur abgab. Also blieb er lieber sitzen. Alexander sprang auf. »Wie krank seid ihr, Kinder? Kann man es verantworten, euch mit in den Wald zu nehmen? Was meinst du, Cecilie?«
    Seine Frau antwortete zögernd: »Sie sollten das Schlimmste überstanden haben. Wenn sie sich warm anziehen…«
    »Sicher können wir«, sagte Tancred und sprang auf, so daß die Decke von seinen Schultern fiel, und er in der vollen Pracht seiner Unterwäsche dastand. Obendrein war er so schnell aufgestanden, daß ihm schwarz vor Augen wurde und Alexander seinen Sohn resolut wieder aufs Sofa drücken mußte. Tancred wagte nicht, Molly anzusehen. Hier ging aber auch alles schief. Dabei war er bei Hofe als galanter und aufgeweckter Kavalier bekannt - hier fühlte er sich wie ein Clown.
    Gerade jetzt, wo er so gerne einen eleganten und guten Eindruck wie nur möglich machen wollte. Aber vielleicht ging ihm alles daneben, weil er sich so sehr anstrengte? Alexander zog an der Klingelschnur. Als der Diener erschien, erhielt er folgenden Auftrag:
    »Schicke einen Mann zum Vogt und bitte ihn, sofort zu kommen! Und laß für uns alle Pferde satteln!« »Jawohl, Euer Hochwohlgeboren!« Mollys Augen wurden vor Sorge und Enttäuschung immer dunkler. Sie wußte genau, daß gewöhnliche Adlige oder Barone mit »Euer Wohlgeboren« angesprochen wurden. Aber die mit »Euer Hochwohlgeboren« angesprochen wurden, standen viel höher.
    Tancred lächelte ihr stolz und ein bißchen töricht zu. Dies hatte sie nicht erwartet, das merkte er wohl. »Wie ist der Vogt hier?« fragte Alexander Molly. Sie dachte nach. »Ich glaube nicht, daß er einer der schlimmsten ist. Er ist kein… Ich habe ihn nie getroffen, aber…«
    Sie beendete den Satz nicht, aber die anderen verstanden in etwa, was sie meinte. Kein sehr angenehmer Mensch? Als der Vogt gleich darauf erschien, wurde ihm die Sache kurz erklärt. Inzwischen hatten die jungen Leute sich warm angezogen, und alle stiegen auf die Pferde. »Molly, du zeigst uns den Weg nach Alt-Askinge«, sagte Alexander. Er fragte den Vogt, ob er die Ruine kenne.
    »Ich bin dort nie gewesen«, antwortete der Vogt. »Die liegt ja auf Privatgebiet hinter dem neuen Gut. Aber ich habe davon gehört.«
    Er hatte diese leicht brutalen Züge, wie viele Vögte sie sich aneignen, um Respekt einzuflößen. Aber, wie Molly bereits angedeutet hatte, es gab schlimmere.
    Molly zögerte. »Der einfachste Weg führt natürlich an Neu-Askinge vorbei. Aber ich glaube nicht…« »Nein, das sollten wir vermeiden«, sagte Cecilie schnell. »Kannst du uns so ungefähr zeigen, wo Tancred gegangen ist?«
    »Ja, den Mondscheinpfad würde ich gerne im Tageslicht sehen«, gestand er. »Vielleicht verschwinden dann meine schaurigen Erinnerungen.«
    »Der Wald ist verzaubert genug«, sagte Molly mit rauher Stimme. Ganz gesund war sie noch nicht. »Ich werde es versuchen, aber er ist teilweise hin und her gelaufen.« »Teilweise?« rief Tancred. »Ich bin herumgelaufen wie ein verwirrter Hase in unendlich tiefen Wäldern.« Wenn schon Clown, dann auch richtig. Molly mußte sowieso allen Respekt vor ihm verloren haben. Sie fand einen Pfad, in den sie einbogen. Tancred hatte in jener Nacht keinen Pfad gesehen, aber hier war er wohl auch nicht gewesen.
    Sie ritten schweigend dahin.