Die Saga vom Eisvolk 07 - Das Spukschloß
längst vergessen hattest. Denn eigentlich war das nichts Besonderes, oder?«
Sein bittender Tonfall entging ihr völlig. Sie bemühte sich, einen klaren Gedanken zu fassen, und das mißglückte ihr vollständig.
Vorsichtig trieb er das Pferd an. Inzwischen war es halb dunkel geworden.
Ihr Schweigen verletzte ihn ein wenig. Etwas sachlicher sagte er: »So wird es besser sein, Jessica. Daß du zu uns nach Hause kommst. In dem Haus konnte man dich ja gar nicht erreichen. Ich habe es praktisch schon früher einmal versucht, wurde aber abgewiesen. Ulfeldt muß völlig hysterisch sein.«
Sie fühlte sich jetzt ein bißchen besser und antwortete mühsam: »Das ist er. Außer an seine Kränkungen denkt er an gar nichts.«
Aus lauter Furcht vor neuen Blutungen wagte Jessica nicht, sich zu bewegen, auch wenn sie noch so schlecht saß. Und ein Gefühl von Trauer ergriff sie. Er hatte ja recht damit, daß diese kleine gemeinsame Episode viel zu unbedeutend war. Aber es war ihre erste wirkliche Liebe gewesen, zart und rein wie ein Frühlingstag.
Nebel legte sich wieder um ihren Kopf und brachte Angst und Schwindel mit sich. Tancred fühlte, wie sie in seinen Armen zusammensank.
Nein, so ging das nicht weiter. Es fühlte sich an, als werde sie ihm zwischen den Händen sterben.
Weiter vorn lag ein Wirtshaus, sie mußten jeden Augenblick dort sein. Aber ausgerechnet dieses Wirtshaus…? Er fühlte ein leichtes Unbehagen.
Doch, Jessica mußte sich ausruhen. Er konnte auf sich persönlich keine Rücksicht nehmen.
Wenn es nun schon zu spät war, sie zu retten? Hatte er vielleicht alle ihre Chancen verspielt, indem er sie auf diese für sie so anstrengende Reise mitgeschleppt hatte? Sie war noch immer bewußtlos, und er konnte das Pferd schneller vorantreiben. Als er das Wirtshaus mit all seinen erleuchteten Fenstern endlich sah, atmete er erleichtert auf.
Die Schankstube wollte er nicht betreten, und deshalb ritt er direkt auf den Hofplatz. Der Wirt erschien sofort. »Herr Tancred! Ihr seid so spät noch draußen?« »Ja, hast du ein gutes und sauberes Zimmer für mich? Ich habe hier ein sehr krankes Mädchen, das Pflege braucht. Ich bleibe bei ihr. Nein, kein Grund zur Sorge, es ist nichts Ansteckendes.«
Glaubte er jedenfalls. Nein, konnte es auch nicht sein, dafür war sie bereits zu lange krank. Der Wirt versprach ihm, alles Notwendige zu beschaffen. Er nahm Jessica entgegen, während Tancred vom Pferd stieg.
Nachdem er einen Blick auf ihr Gesicht geworfen hatte, sagte der Wirt: »Du meine Güte, ist die schlimm dran! Und viel wiegen tut sie auch nicht. Soll ich meine Frau wecken?«
»Nein, das ist wohl nicht notwendig. Sie braucht nur eine Nacht Ruhe, bevor wir nach Hause weiterreiten.« Er zögerte. »Ist er hier?« fragte er sehr leise.
»Hab« ihn schon ein paar Tage nicht mehr gesehen«, flüsterte der Wirt zurück.
Tancred entspannte sich deutlich. Er nahm Jessica wieder in seine Arme und folgte dem Wirt die Hintertreppe hinauf.
Das Zimmer war klein aber sauber. Einfach möbliert mit einem Doppelbett, einem Tisch und Stuhl unter dem Fenster - das war so ziemlich alles.
»Ich bringe gleich eine Kanne warmes Wasser, damit ihr euch waschen könnt. Möchtet Ihr etwas essen?« »Ja bitte, und einen Krug Bier. Ich glaube, sie möchte nichts.«
Der Wirt ging, und Tancred legte Jessica auf die eine Hälfte des Bettes.
Erst da bemerkte er, daß eines seiner Hosenbeine von Blut durchtränkt war.
Du meine Güte, dachte er, was mache ich jetzt? Die Wirtin rufen? Nein, er wollte Jessica nicht noch mehr in Verlegenheit bringen.
Soviel Einfühlungsvermögen besaß Tancred immerhin, daß er sich Jessicas Gefühle während dieses lästigen Rittes vorstellen konnte. Völlig verzweifelt wegen der Blutungen, aber doch zu verlegen, um es ihm gegenüber zu erwähnen, einem trotz allem schließlich fremden männlichen Wesen. Angst, daß er es entdecken könnte… Arme Kleine!
Das hier war nun wirklich ein Dilemma. Wie sollte er sich in dieser Situation verhalten?
In Tancreds rauhem Soldatenleben war kein Platz für zerbrechliche Frauen und deren Probleme gewesen. Aber Mama Cecilie hatte ihm Rücksichtnahme und Behutsamkeit beigebracht. Sein Entschluß stand fest: Das hier mußte er allein schaffen, ohne irgendwelche Hilfe. Je weniger davon wußten, um so besser war es Jessica. Er holte tief Luft und nahm die Decke weg. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen.
Sie hatte nur ein Nachthemd an, und das konnte nicht verdecken,
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