Die Saga vom Eisvolk 08 - Die Henkerstochter
hier ein Anwesen für seine Tochter und ihren Mann gebaut. Was natürlich nicht hieß, daß er auch nur einen Stein oder ein Brett selbst in die Hand genommen hätte. Die Familie Paladin war wohlhabend genug, die groben Arbeiten von anderen ausführen zu lassen. Aber alles war nach Kalebs und Gabriellas Wünschen erbaut. Das wichtigste für Hilde war allerdings, daß sie nicht aus reiner Barmherzigkeit dort wohnen durfte. Sie hatte eine Arbeit zu leisten, und eine schwierige Arbeit dazu, die sie den ganzen Tag lang fordern würde. Aber sie fühlte, daß sie von Nutzen war, daß man sie brauchte, und das war ein wunderbares Gefühl. Natürlich hatte sie ihren Platz im Haus des Vaters ausgefüllt, aber das war eine so trostlose Arbeit gewesen, ohne Dank oder Ermunterung. Hier schimpfte niemand mit ihr, obwohl sie am Anfang natürlich hin und wieder Fehler machte. Hier kamen Hildes viele verborgenen Talente zu ihrem Recht. Ihre Fähigkeit, Gemütlichkeit um sich herum zu verbreiten, alles schön und ein wenig künstlerisch zu gestalten.
In einer ihrer ersten Nächte dort träumte sie, der Vater wäre noch am Leben, und sie arbeite wieder dort oben im Haus, mit angespannten Schultern, als müsse sie seine bitteren Klagen ertragen. Sie erwachte schweißgebadet.
»Ich danke dir, lieber Gott, daß es nur ein Traum war«, seufzte sie erleichtert.
Dann erschrak sie. Sie hatte nicht gewußt, daß sie den Vater so wenig gemocht hatte. Daß sein Tod eine solche Erleichterung für sie war.
Sie und Eli arbeiteten zusammen, sie waren für die tägliche Versorgung der Kinder verantwortlich. Es war nicht schwer, mit Eli gut Freund zu sein. Sie war so nachgiebig und anspruchslos, so glücklich über jede noch so kleine Aufmerksamkeit. Schon wenn man nur mit ihr sprach, strahlte sie. Hilde war reifer, ernster, aber sie harmonierten ausgezeichnet miteinander. Eli freute sich sichtlich, die Bürde der Arbeit gerade mit Hilde teilen zu können, es war so sicher und so beruhigend, fand sie. Hilde konnte das nicht ganz verstehen, aber die Worte machten sie glücklich.
Eli war verliebt, wie sie Hilde eines Tages draußen auf der Wiese anvertraute, als sie kleine Blumensträuße pflückten und die Kinder um sie herum spielten.
»Du?« wunderte sich Hilde, die fand, daß Eli noch etwas sehr jung dafür war.
»Ja wirklich«, kicherte Eli. »Es ist eine völlig wahnwitzige Verliebtheit. Ich würde es nie wagen, Mutter und Vater davon zu erzählen, sie würden in Ohnmacht fallen! Aber ach, wie herrlich das ist! Und ich glaube wirklich, daß er mich mag.
Er hat so großes Interesse gezeigt, weißt du, deshalb bin ich überhaupt erst auf ihn aufmerksam geworden.« Hildes Blick war träumerisch geworden.
»Warst du jemals verliebt?« wollte Eli eifrig wissen. »Ich bin es jetzt«, lächelte Hilde. »Zum ersten Mal in meinem Leben. Aber darüber kann ich mit niemandem sprechen, nicht einmal mit dir.« »Warum nicht?«
»Aber das mußt du doch wohl begreifen? Niemand will mich haben, das habe ich mein Leben lang gewußt, ich bin ja die Tochter des Nachtmannes. Deshalb gebe ich mich damit zufrieden, daß ich mein Leben lang allein bleiben werde. Aber ich habe meine Träume, die kann mir niemand nehmen. Und die Sehnsucht…«
»Ach ja, die Sehnsucht!« seufzte Eli und blickte hingerissen über den See. »Die Sehnsucht hat etwas Schönes, Wehmütiges, findest du nicht?« »Doch. Aber auch Bitteres.«
»Meinst du? Ich finde, die Sehnsucht ist das Schönste. Wenn man bekommen hat, was man sich ersehnt, ist die zerbrechliche Schönheit gleichsam verschwunden. Die Erfüllung ist sozusagen kälter.«
Hilde lächelte. »Das kommt wohl darauf an, wonach man sich sehnt.«
»Ja, das tut es bestimmt«, sagte Eli schnell. »Ich dachte an Dingt?
»Wer ist es, den du… Ich denke jetzt an Menschen.« »Nein, oh, das kann ich nicht sagen«, flüsterte Eli erschrocken. »Aber du sollst es als erste erfahren - falls er mir seine Liebe erklärt.«
Sie gebrauchte feierliche Worte, die kleine Eli. Aber so war sie. Leicht zu rühren, empfindsam und warmherzig. Gabriella und Kaleb hatten viel Freude an ihr, und sie hatten nie bereut, sie zu sich genommen zu haben. Sie war die Sonne in ihrem Leben, um die alle ihre Gedanken kreisten. Manchmal, wenn jemand von Eli als ihrer Pflegetochter sprach, verstanden sie erst gar nicht, von wem die Rede war. Sie gehörte ebenso untrennbar zu ihnen, wie ihr eigenes Kind es getan hätte.
Andreas kam jetzt beinahe jeden Tag
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