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Die Saga vom Eisvolk 08 - Die Henkerstochter

Die Saga vom Eisvolk 08 - Die Henkerstochter

Titel: Die Saga vom Eisvolk 08 - Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margit Sandemo
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ein Mensch Angst hat. Und sie war beinahe irrsinnig vor Angst gewesen. War es immer noch, obwohl sie sich zur Ruhe zwang, um sich nicht zu verraten.
    Sie konnte nicht einmal tief und entspannt durchatmen, Das ist der Nachteil eines großen Busens, dachte sie mit einer Art Galgenhumor.
    Sie hörte ihn - den Mannwolf. Er atmete schwer, arbeitete sich durch den Wald, war jetzt ganz in ihrer Nähe.
    O nein! Die Spinnweben kitzelten sie an der Nase! Und sie konnte nicht einmal die Hand heben, um das Unglück zu verhindern!
    Aber dann ging der Niesreiz von selbst vorbei. Danke, lieber Gott, oder wer immer jetzt auf mich heruntersieht. Jedenfalls ist es nicht mein Schutzengel Mattias, denn der ist jetzt nicht hier.
    Mattias, der den Eisvolk-Vorrat an geheimnisvollen Kräutern verwahrte. Der alles über Schlafmittel wußte. Nein, also jetzt durfte sie nicht hysterisch werden, keine vollkommen aberwitzigen Überlegungen anstellen.
    Die Kreatur blieb stehen. Genau vor ihrem Versteck. Sie mußte aufpassen…
    Ob er wohl lauschte? Es schien beinahe so. Versuchte er, ihren Atem zu hören - oder hatte er sie schon entdeckt? Und wartete nur darauf, daß sie herauskommen würde? Sie hatte die furchtbare Vorstellung, daß er sich hinhockte und eine krallenbesetzte Pfote in die Höhle steckte - und sie herauszog ins Freie. Daß sein Gesicht in der Höhlenöffnung erschien… Sie unterdrückte ein Stöhnen.
    Sie merkte, daß ihre Tränen rannen, daß sie es seit langem taten. Tränen der Angst und der Verlassenheit. Ja, er lauschte, aber nicht auf sie. Jetzt konnte sie wieder diese fernen Rufe hören. Und sie konnte nicht antworten. Aber schienen sie jetzt nicht näher zu sein? Nein, das war Einbildung. Wunschdenken.
    Auf einmal begann er zu rennen, fort von ihr. Die Rufe hatten ihn wahrscheinlich erschreckt.
    Aber Hilde wagte nicht, sich zu rühren. Vielleicht stellte er ihr eine Falle, stand hinter einem Baum verborgen. Obwohl es ihr eigentlich so vorgekommen war, als hätten sich seine schweren Schritte in den Wald hinein entfernt. Lieber Gott, bitte mach, daß die Gefahr vorbei ist, ich kann einfach nicht mehr. Wenn jetzt was passiert, dann schreie ich wie eine Besessene.
    Sie mußte die Hände zu harten Fäusten ballen und sie an den Körper pressen, um nicht von einer Welle der Hysterie überrollt zu werden. Bleib liegen, bleib liegen, ermahnte sie sich selbst. Bleib ganz still liegen! Aber wenn die Männer überhaupt nicht bis hierher kamen? Wenn sie nach Hause gingen - und sie blieb allein im Wald zurück? Sie schluchzte, konnte das Weinen nicht länger unterdrücken. Was sollte sie tun? Wie sollte sie dann von hier fort kommen?
    Lieber Gott im Himmel, laß sie hierher kommen! Die Minuten verstrichen. Ihre Gedanken schwankten zwischen Hoffnung und Furcht, zwischen der Überzeugung, daß Nie jetzt hinausgehen konnte, und dem Bedürfnis, sich noch besser zu verstecken. Ich bin feige, feige bin ich, ich sollte mich besser von hier fortmachen, sollte ihnen entgegenlaufen. Aber ich traue mich nicht. Das muß man mir nachsehen, ich kann nicht mehr.
    Und dann… schien es ihr ganz bestimmt so, als klängen die Rufe jetzt näher. War sie denn so tief im Wald? Ja, diese Felswand lag weit entfernt von der Waldkate, daran erinnerte sie sich. Wie in aller Welt hatte sie es geschafft, bis hierher zu kommen? Anscheinend hatte die Angst ihr Flügel verliehen.
    Da war eine Stimme - so nah war bisher noch keine gewesen. Sie konnte sogar die Worte verstehen: »Hilde! Hilde, so antworte doch, in Gottes Namen!«
    Laß dich nicht täuschen, dachte sie. Das ist er, der dich nur hinauslocken will. Jetzt versucht er es mit einer List. Aber dann hörte sie zwei Stimmen, beinahe gleichzeitig. Und jetzt waren sie noch näher. Das war vermutlich ihre einzige und letzte Chance. Später würden sie dieses Gebiet für durchgekämmt halten.
    »Hier bin ich«, rief sie jämmerlich, und ihre Stimme verschwand unter der Felswand, wurde klein und flach. Sie versuchte es noch einmal. »Hilfe! Ich bin hier!«
    Tränen der Angst und der zögernden Erleichterung liefen ihr die Wangen hinab in die Ohren. Wenn die Männer sie jetzt nicht hörten…
    »Hilde!« schrie jemand. »Ich habe sie gehört! Sie ist hier!« Andere Stimmen antworteten, Schritte kamen eilig näher. Hilde spürte, daß eine Ohnmacht heranrückte, so stark war die Anspannung, die jetzt vielleicht, vielleicht vorüber sein würde. Aber sie wagte noch nicht richtig, daran zu glauben… »Wo ist sie?«

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