Die Saga vom Eisvolk 08 - Die Henkerstochter
du hast recht. Ich begreife nicht, daß der Vogt es wagt, sie im Haus zu haben.«
»Sie ist wahrscheinlich tüchtig«, sagte Kaleb, »und es ist bestimmt nicht leicht für ihn, eine andere zu finden.« »Was machen wir jetzt mit ihm?« fragte Mattias. »Wie verhaftet man einen Vogt? Er ist ja derjenige, der Leute festnimmt.«
»Tja, in diesem Fall müssen wir wohl ganz bis zum Lehnsherrn nach Akershus. Ich glaube, da genügt nicht einmal ein Amtsrichter.«
»Aber jetzt müßt ihr erklären«, sagte Andreas. »Hilde, woher hast du gewußt, daß der Vogt nichts von dem Bier getrunken hatte?«
Sie war ein wenig stolz, daß sie erzählen durfte und dabei so sicher vor Mattias auf dem Pferd saß. Drei bedeutsame Männer hörten ihr zu, der Tochter des Henkersknechts. »Nun, zuerst bin ich doch im Wald über einen schlafenden Mann gestolpert. Und er stank nach Bier. Und später hat der Vogt mir direkt ins Gesicht geschimpft. Aber er hat überhaupt nicht nach Bier gerochen.«
»Sehr gut«, lobte Andreas. »Und du, Kaleb? Wie bist du darauf gekommen, daß er es war?«
»Ja, also diese Hexe, die am Tag vor unserem Leichenfund in der Nachbargemeinde verhaftet worden war, die spukte mir die ganze Zeit durch den Kopf, ohne daß ich mir darüber klar werden konnte, warum. Aber schließlich fing ich an, eins und eins zusammenzuzählen. Wir haben die neun zusammengeknüpften Schnüre gesehen, die der Vogt aus der Erde neben der Hand der einen Frau gezogen hat. Aber wir haben nicht den Hexenknoten gesehen, den die andere Frau gehabt haben soll. Die mit der Erde in dem weißen Wolltuch. Außerdem erinnert ihr euch sicher, was Großmutter Liv sagte: Wenn die vier Frauen Hexen gewesen wären, dann hätten sie in ihrem Haar eingeflochten eine Schnur mit drei Knoten tragen müssen. Und was hat der Vogt darauf geantwortet? Ja, aber das hatten sie! Das konnte er ja auch getrost behaupten, er hatte die Frauenleichen ja in aller Hast verbrennen lassen!«
»Damit ich nicht untersuchen konnte, wie sie getötet wurden, ja«, sagte Mattias. »In Stücke gerissen, sagte er. Warum hat er das gesagt? Warum mußte er einen Werwolf ins Spiel bringen?« »Weil er improvisierte«, sagte Kaleb. »Überlegt doch mal!
Da steht er über seine eigenhändig vergrabenen Leichen gebeugt - und um ihn herum eine Menge Leute. Was soll er sagen? Was soll er tun? Als erstes fällt ihm ein, daß Gerüchte über einen Werwolf umgehen. Das macht er sich zunutze. So etwas schreckt die Leute auf und läßt sie das Wesentliche vergessen. Dann fühlt er in seiner Tasche die Hexenschnur mit den Knoten, die er noch vom Hexenfang des vorherigen Tages bei sich trägt. Er erinnert sich, daß das Eisvolk eine dunkle Vergangenheit hat, was Zauberei und Hexerei angeht. Aha, denkt er sich. Da haben wir die perfekten Sündenböcke! Und er legt die Schnur unauffällig neben die Hand der einen Leiche, packt ordentlich Erde darauf- und dann findet er sie.
»Wie praktisch für ihn, uns da hineinziehen zu können«, sagte Mattias, der Hilde mit einem regelrechten Besitzergriff umfangen hielt, der sich wunderbar anfühlte, wie sie fand. »Denn er hatte sich ja schon unseres Namens bedient, als er bei Madame Svane in Christiania war.«
»Ja. Baron von Meiden hört sich ja auch beeindruckend an«, sagte Andreas. »Er hat diese Frauen des Geldes wegen umgebracht, nicht wahr?«
»Natürlich. Reiche Witwen und ältliche Jungfern mit großer Mitgift. Und unser Herr Vogt ist ja bekannt für seine Geldgier. Er hat sie entweder schon in der Kutsche getötet oder sie hinauf zur Wiese am Waldrand gelockt und sie dann dort umgebracht. Jedenfalls hat er sie nicht in seine eigene Gemeinde geschafft, das war zu gefährlich. Und da die von Meidens in der Gemeinde Grästensholm wohnen, war es nur natürlich, die Leichen dort zu vergraben.«
»Und er war dabei, als Joel Nachtmann erzählte, daß er einen Wagen gesehen hatte«, sagte Andreas. »Aber vorher hatte er noch ein Todesomen auf dem Hofplatz abgelegt, um damit zweierlei zu unterstreichen: daß es um Hexerei ging und daß die Leute aus der Gemeinde es immer noch auf Joel Nachtmann abgesehen hatten. Und während Hilde am nächsten Morgen im Stall beim Melken war, schlich er sich in die Kate, brachte ihren Vater um und versuchte, es so aussehen zu lassen, als habe der sich aufgehängt. Das gelang ihm nur nicht ganz, weil Mattias die Leiche untersuchen konnte.« Kaleb fügte hinzu: »Und in der Zwischenzeit hat er seinen Hund abgerichtet.
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