Die Saga vom Eisvolk 09 - Der Einsame
wie ich? Gebe Gott, daß du nicht meine Einsamkeit, meine Melancholie und meine Sehnsucht erbst!
Manchmal grübelte er darüber - daß er einen Sohn hatte. Aber irgendwie fühlte er keine Zusammengehörigkeit, weder mit ihm noch mit seiner Ehefrau. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, Vater zu sein. Es war so… unwirklich.
In Wismar lernte er die Tochter der Hausfrau kennen, bei der er einquartiert war. Sie zeigte deutlich, wie gut ihr der elegante Schwede gefiel. Trotz seines abwesenden Wesens war Mikael freundlich zu ihr und sah sich heimlich nach ihr um, hielt sich aber an seine, wenn auch unklaren Ehrbegriffe. Er war ein verheirateter Mann und fühlte sich gezwungen, seiner Ehefrau treu zu sein, auch wenn er sie nicht liebte. Diese Geschichte verlief dann auch im Sande, bevor sie überhaupt begonnen hatte, mit einer wehmütigen Abschiedsstunde, in der er ihr unbeholfen über die Wange strich. Danach vergaß er sie, und sie tröstete sich bald mit einem anderen Schweden.
Im Jahre 1654 dankte Königin Christina ab und trat zum Katholizismus über. Unter dem Namen Karl X. Gustav übernahm der Graf von der Pfalz den Thron, und in die Feldzüge kam neuer Schwung. Polen und Rußland waren die ersten Ziele.
Mikael war da allerdings bei Bremen in der Nähe der Nordsee. Er war Unteroffizier beim Wachbataillon, das die schwedischen Besitzungen bereiste. Somit blieb er nie lange an ein und demselben Ort.
Dann kam der Herbstabend, an dem Mikael Lind vom Eisvolk am Elbufer seinem Verwandten Tancred Paladin begegnete.
Diese Begegnung stellte Mikaels ganzes Leben auf den Kopf. Er war völlig verzweifelt, daß er den Ort so schnell verlassen mußte, weit weg nach Ingermanland, noch bevor er alles gehört hatte, was er wissen wollte. Jedes Wort, das Tancred ihm erzählte, saugte er auf wie ein trockener Schwamm.
Er hatte eine Identität bekommen! In Norwegen und Dänemark lebten Menschen aus der Sippe des Eisvolkes, die ihm sogar ähnlich waren. Dieser unmittelbare Kontakt, den er mit Tancred fühlte, hatte ihn erschüttert. Mikael der Träumer, der zwischen sich und den Menschen eine diffuse Mauer errichtet hatte, fühlte sein Herz heftig und glücklich schlagen. Es gab wirklich Menschen, mit denen er offen, natürlich und völlig ohne Angst sprechen konnte, und die ihn verstanden.
Aber er hatte Tancred nichts von seiner Ehefrau und seinem Sohn erzählt - dafür war weder Zeit gewesen noch hatte er überhaupt daran gedacht! Er hätte es tun sollen, schließlich war Krieg, er konnte jederzeit in eine Schlacht verwickelt werden, konnte fallen…
Plötzlich wurde sein Sohn unendlich wichtig für ihn. Dominic Lind vom Eisvolk. Ein kleines Kind mit Verwandten, von denen es nichts wußte. Die wiederum ihn nicht kannten. Dominic gehörte zum Eisvolk. Mikael haßte den Krieg mehr als je zuvor. Er wollte desertieren, wollte auf dem schnellsten Weg nach Hause, wollte…
Aber nein, so etwas tat er nicht. Konnte er auch gar nicht, wie sollte er denn über die Ostsee kommen?
Ohne sein Zutun wurde er weiter befördert. Vom Kornett zum Sergeanten, vom Serganten zum Fähnrich. Er kam nie in Ingermanland an. Die Pläne Karl X. Gustavs für einen Krieg gegen Polen hatten den russischen Zaren aufgeschreckt, der ein großes Heer aufstellte und jetzt weit weg im Osten dafür sorgte, daß Polen nicht unter schwedische »Schirmherrschaft« fiel. Schwedens größte Ostseeprovinz, Livland, lag auf dem Wege der Russen bei ihrem Marsch nach Polen. Dort war Mikaels Reise zu Ende, denn Livland war ein Schlüsselpunkt. Die ganze politische Situation war unglaublich verwickelt. Die deutschen Fürsten sahen mit Unruhe, daß die Schweden sozusagen die ganze Ostseeküste erobert hatten. Polen wollte Livland von den Schweden zurückhaben. England, die Niederlande und Dänemark wachten ebenfalls über diese Provinzen, ängstlich darauf bedacht, daß keiner zu mächtig wurde. Und im Osten wachte der russische Riese, der sich von der wichtigen Ostsee abgeschnitten sah. Vor allem aber war den Russen das schwedische Ingermanland an der Mündung der Newa ein Dorn im Auge. Aber der größte Leckerbissen würde die Eroberung Livlands sein. Von Polen, Rußlands ewigem Feind, gar nicht zu reden.
Das alles interessierte Mikael wenig. Aber in diesen fernen Provinzen hatte er in einem kleinen Dorf ein Erlebnis, das seiner Ruhelosigkeit ein Ende machte. Aber ob es ihm eine Hilfe war… Darüber konnte man wirklich geteilter Meinung sein.
Er erreichte ein
Weitere Kostenlose Bücher