Die Saga vom Eisvolk 09 - Der Einsame
an. Verwundert, ohne Unterlaß. Nur war die Entfernung zu groß, er konnte sie nicht ganz deutlich erkennen. Aber sie machte einen jungen Eindruck.
Mikael stand einen Augenblick unschlüssig da. Dann wandte er sich wieder seiner kümmerlichen, kalten Unterkunft zu, während vom mächtigen Himmelszelt der Klang einer unbekannten Tragödie aus früherer Zeit in seinen Ohren widerhallte.
Ich wünschte, ich hätte nicht eine so große Phantasie, dachte er nüchtern. Aber der Himmel schwieg dazu. Später am Abend fragte er einen Kameraden:
»Wohnt eigentlich jemand auf dem großen Gut vor dem Dorf?«
»Nein. Früher hat dort eine deutsche Adelsfamilie gelebt. Sie ist schon vor unserem Eintreffen weggezogen. Weißt du, für uns Schweden sind die Deutschen hier in Livland schon immer schwierige Leute gewesen. Der preußische Adel hat uns nie als Herrscher anerkannt. Aber auch die Polen wollten sie nicht anerkennen.«
»Und die Russen? Haben die Deutschen die anerkannt?« »Das glaub' ich kaum. Die erkennen nur sich selber an. Ich habe gehört, daß sie eine ganz verrückte Idee haben. Daß sie jetzt frei werden, und daß jetzt ihre Zeit gekommen ist, wo Russen, Polen und Schweden einander totschlagen.«
»Das klingt ziemlich unrealistisch, finde ich. Wer auch immer gewinnt, sie werden sicher in der Klemme sitzen.« »Damit rechnen sie nicht. Sie glauben, daß die Russen an Polen interessiert ist, nicht an Livland. Wenn die Russen uns jetzt schlagen, müssen wir auch hier raus.« Er seufzte. »Die haben die Glanztage des Deutschen Ordens nie vergessen.«
»Auf dem Gut habe ich heute eine Frau gesehen.«
Der Kamerad grinste. »Dann muß es ein Gespenst gewesen sein. Oder eine Bauersfrau, die nach etwas Eßbarem gesucht hat, das sie stehlen kann.«
»Nein«, sagte Mikael, »eine Bauersfrau war das nicht. Absolut nicht. Wenn ich jemals eine Aristokratin gesehen habe, dann heute.«
»So? Nein, das muß du geträumt haben. Oder hast du mit ihr gesprochen?«
»Nein, es gehört sich nicht, daß wir in deren Leben einbrechen. Das dürfen wir einfach nicht, jedenfalls nicht nach den früheren brutalen Übergriffen unserer Soldaten gegenüber der hiesigen Bevölkerung. Königin Christine war richtig wütend. Was Karl X sagt, wissen wir nicht. Zwar ist er aus härterem Holz geschnitzt, aber wir sollten doch lieber vorsichtig sein. Ich werde morgen noch einmal nachsehen. Wenn sie noch da ist.«
»Vergiß ja nicht, erst dein Vaterunser zu beten«, grinste der andere.
Zu Hause in Schweden war deutlich zu spüren, daß das Land im Krieg lag. Gabriel Oxenstierna, inzwischen zum Reichsrat ernannt, war Seiner Majestät in den ehrenvollen Krieg gefolgt, und seine Ehefrau wollte ihm jetzt nachreisen. Es war nichts Außergewöhnliches, daß die höheren Offiziere ihre Frauen bei sich im Feld hatten - natürlich im sicheren Hinterland.
Bei dem Gedanken an die bevorstehende Reise wurde Marca Christiana ganz aufgeregt. Wenn alles gut ging, würde sie ihr geliebtes Löwenstein wiedersehen, das hatte Gabriel ihr versprochen.
Als der Feldzug begann und ihr Mann mit dem König auszog, hatte sie nicht mitreisen können, da sie gerade einem Sohn das Leben geschenkt hatte, dem dritten hintereinander. Aber jetzt war er fast ein Jahr alt, und ihre drei kleinen Söhne sollten zu Hause in Schweden bleiben, beaufsichtigt von einem Heer von Kindermädchen. Sie würde die Kleinen vermissen - aber sie und Gabriel waren sich darüber einig, daß sie mal heraus mußte. Die Intrigen am Hofe konnten manchmal schon recht anstrengend sein, besonders für eine Ausländerin.
Die meiste Zeit lebte sie auf dem nördlich von Stockholm gelegenen Schloß Mörby. Wenn der Reichsrat zusammentrat wohnten sie zeitweise im Stockholmer Schloß, aber Marca Christiana fühlte sich draußen auf dem Lande wohler. Anette und ihr Sohn Dominic lebten auch auf Mörby, in der sogenannten Eremitage, was nur ein besseres Wort für Jagdhütte war. Die meisten würde das Haus wohl als Jagdschloß bezeichnen.
Marca Christiana war beim Packen ihrer Reisekleider und zog die Stirn in Falten. Ihr fiel das Gespräch wieder ein, das sie mit ihrem Mann vor dessen Abreise hatte. »Gabriel«, hatte sie zögernd von ihrem Zimmer aus gerufen, »wäre es nicht an der Zeit, daß Mikael nach Hause kommt?«
»Nein, warum denn? Je länger er draußen im Krieg ist, um so schneller wird er befördert werden.«
Es gibt hier im Leben wohl noch anderes als Offiziersgrade, hatte sie gedacht. »Aber
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