Die Saga vom Eisvolk 09 - Der Einsame
stimmte das ja. Aber alle hatten sie den gleichen Gedanken:
Unser Hauptmann wird nicht mehr lange leben.
9. Kapitel
In Norwegen waren ein paar Männer in den Wäldern von Grästensholm beim Holzfällen. Drei Generationen Lind vom Eisvolk waren dabei: Andreas mit seinem Vater Brand und dem Großvater Are. Von Grästensholm und Elistrand waren Tarald und Kaleb herübergekommen. Dazu kamen noch eine Reihe von Knechten der drei Höfe. Es war die letzte Holzlast, die in diesem Winter geschlagen werden sollte.
Viel Schnee lag nicht mehr, und für die Pferde war es eine mühsame Arbeit. Der Schnee war viel zu früh geschmolzen, aber die Bäume mußten gefällt werden, eine Kraftanstrengung, zu der sie sich jetzt hier versammelt hatten. Andreas sah hinauf zu der Riesentanne, die gerade gefällt wurde.
»Heikle Sache mit dem Baum hier. Wer weiß, in welche Richtung der fallen wird.«
»Der hat sich fast um sich selbst gedreht«, nickte Tarald. »Hängt davon ab, wo der Schwerpunkt liegt.« Nach eingehender Beratung und sorgfältigen Berechnungen meinten sie, die richtigen Stelle zum Schlagen gefunden zu haben.
Die Axtschläge klangen dröhnend durch den Wald. Für eine Weile waren alle ganz still. So gingen einige Männer und suchten nach weiteren Tannen, die gefällt werden konnten.
Eine Zeitlang wurde auch die große Säge benutzt, aber dann nahm man wieder die Äxte. Das Holz der Tanne war fest und hart nach vielen Jahren mit schlechtem Wachstum.
Plötzlich schrie einer der Knechte auf: »Herrje, der Baum fällt!« »Schon?« »In die falsche Richtung!« »Paß auf! Paß auf, verdam… « »Vater!« schrie Brand. »Paßt auf! Lauft!«
Tarald warf sich gegen Are, der, alt wie er war, nicht so schnell begriff, was eigentlich vor sich ging.
Alle versuchten, dem Alten zu Hilfe zu kommen, aber nur Tarald war nahe genug.
»Vater! Vater!« Nackte Angst stand in Brands Augen. »O Gott! O lieber Gott, nein!«
Der Baum war umgestürzt. Nach dem gewaltigen Getöse war plötzlich alles totenstill.
»Möge Gott sich erbarmen«, flüsterte Kaleb.
Dominic sah ihn schon von weitem. Der Junge spielte mit dem Hund im Garten.
»Vater! Vater kommt, Troll«, war sein leiser Ruf zu hören.
Mikael stieg vom Pferd und begrüßte die beiden Wildfänge, die ihm entgegenstürmten. Eine unwiderstehliche Freude stieg in ihm auf. Diese zwei phantastischen kleinen Wesen erwarteten ihn und freuten sich über seine Heimkehr! Das war fast mehr, als Mikael ertragen konnte. Er war also doch nicht so einsam auf dieser Welt. Jemand freute sich, daß es ihn gab.
Wieder überraschte ihn das gelbe Leuchten in den Augen seines Sohnes. Dann fühlte er zwei Arme um seinen Hals, den warmen Atem an seiner Wange, und etwas Warmes stieg ihm die Kehle hinauf.
Im nächsten Moment wurden beiden von einem begeisterten Hund überrannt, denn Mikael war in die Hocke gegangen und konnte die Balance nicht halten. Alles löste sich zu wilden Gelächter auf.
Anette stand auf der Treppe. Schuldbewußt bürstete Mikael sich ab.
Ein ängstliches, steifes Lächeln. »Willkommen daheim, mein Lieber!«
Dominic betrachtete sie mit abwartenden Augen, das sahen sie beide. So beugte Mikael sich über ihre Hände und küßte diese. Sie zitterte, wenn auch nur leicht, aber empfindlich wie er war, betrübte es ihn.
In ihren Augen war offen zu lesen, wie entsetzt sie über sein Aussehen war. Er wußte es selbst, hatte er doch erst neulich in einen Spiegel gesehen. Ganz erloschen sah er aus. Kein Leben war in seinen Augen zu sehen, vor allem kein Lebenswille. Nur Schmerz stand dort geschrieben, ein namenloser, unverständlicher Schmerz.
Wenigstens dieses Mal sagte Anette nichts von einem glorreichen Krieg. »War es schlimm?« »Seelentötend! Und so sinnlos!« »Wir haben viel gewonnen.« »Haben wir?« fragte er bissig.
»Und du bist wieder zu Hause! Dafür müssen wir dem Herrn dankbar sein.«
In der Halle riß Mikael sich den Umhang ab. »Ich habe die schwersten Kämpfe gesucht, Anette. Ich habe den Tod gesucht. Nur der Gedanke an euch hier zu Hause hat mich zurückgehalten. Ich wollte euch wiedersehen.« »Sprich doch nicht so! Den Tod suchen? Das ist ja gräßlich!«
»Irgendwann kommt der Punkt, da kümmert es einen nicht mehr, ob etwas gräßlich ist oder nicht.« »Mikael…«
Sie schwieg. Verschlang die Hände ineinander. Der Junge war wieder hinausgelaufen, um dem Knecht mit dem Pferd zu helfen. »Was ist denn?«
»Wenn du willst, kann Dominic morgen auf
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