Die Saga vom Eisvolk 09 - Der Einsame
sehne mich nach einem Menschen, der mich versteht! Den ich nicht erschrecke. Aber den gibt es wohl nicht. Du sprichst von Gott. Ich habe es versucht, Ihn um Hilfe gebeten, aber es gibt wohl einen Geheimcode, mit dem man Gott erreicht, und den kenne ich nicht. Manche erhört Er wohl, aber andere sind Ihm sicher gleichgültig. Ich habe mit einem Mann der Kirche darüber gesprochen, der meinte, mein Glaube sei nicht stark genug. Das klingt für mich recht zynisch. Nicht, daß ich damit rechne, erhört zu werden, aber ich habe eine Frau gesehen, die innig für ihre Lieben betete, während der Krieg ihr alles nahm. Gott muß da gerade geschlafen haben, denn die Kinder und jungen Leute ihrer Familie wurden alle getötet, während die Alte in ihrem Schmerz alleine blieb.
Liebste kleine Anette, wenn nicht einmal der Allmächtige helfen kann, wie solltest Du meine Schwierigkeiten verstehen? Und trotzdem setze ich mein ganzes Vertrauen auf Dich. Ich denke an Dich als meinen einzigen Freund, verstehst du? Jetzt, wo wir so weit voneinander entfernt sind, träume ich davon, bei Dir Vergessen zu finden, die Nähe eines Menschen zu fühlen, der sich etwas aus mir macht.
Ich schäme mich meiner Gedanken, aber ich möchte, daß Du mir gehörst. Besser bin ich nicht. Mönche können vielleicht in ewigem Zölibat leben - auch wenn ich daran zweifle, nach all den Geschichten über geheime Gänge zu den Nonnenklöstern und den Kinderleichen, die dort gefunden wurden. Der Zölibat ist für mich eine schwierige Sache. Bis jetzt ging es gut, und eine Weile kann es auch so weitergehen. Aber ich träume von zärtlichen, liebevollen Umarmungen mit Dir, ohne daß Du etwas Häßliches darin siehst. Deine Abwehr erschreckt mich, das will ich nicht leugnen. Ich habe immer Angst gehabt, unerwünscht zu sein, wahrscheinlich weil ich nie ein Heim und Vater und Mutter gehabt habe. Bei dem geringsten Zeichen von Dir habe ich mich zurückgehalten. Und solche Zeichen hat es weiß Gott genug gegeben! Oder warst Du auch nur ängstlich? Fürchten wir uns beide davor, einander Unbehagen zu bereiten? Oder darf Deine Jungfrau Maria keine unschönen Dinge sehen oder hören? Die Jungfrau Maria hatte viele Kinder, Anette! Körperliche Schwächen waren ihr nicht fremd.
Ich wünschte, Du würdest diesen Brief beantworten. Ich möchte gern mehr über Dich wissen, über die Frau, mit der ich jetzt seit sechs Jahren verheiratet bin, die ich aber nur ein einziges Mal berührt habe.
Bereite Dich darauf vor, daß der Krieg und das Leben unter Soldaten mir wieder ziemlich zu schaffen machen. Alles, was Du und Dominic aufgebaut haben, ist wieder fort. Wenn ich dieses Mal aus dem Krieg zu Dir komme, dann als menschliches Wrack. Ich kann nicht mehr, Anette. Was soll ich nur tun? Dein treu ergebener Mikael.
Anette fühlte sich ganz benommen. »Er verlangt zuviel von mir«, klagte sie. »Was soll ich ihm darauf antworten?«
Drei Tage stöhnte und jammerte sie. So begann sie endlich mit ihrem Antwortbrief.
Lieber Gemahl!
Danke für den Brief, auf den wir alle gewartet haben. Es ist beruhigend zu wissen, daß Du bei guter Gesundheit bist. Da war etwas ausgestrichen, aber Mikael konnte es als ,und guten Mutes' entziffern. Er lächelte bitter.
Auch ich habe von den großen Taten unseres Königs gehört, und daß er jetzt im Schloß zu Kopenhagen über den Frieden verhandelt. Möge es zu seinem und Schwedens Wohl sein! Und was ist mit Dänemark? dachte Mikael.
Du schreibst, daß ich jetzt Dein einziger Freund bin. Danke, mein Lieber, ich will mich gerne deines Vertrauens würdig erweisen. Aber ich finde es ist Gotteslästerung, wenn du sagst, daß Er schläft. Die Frau, von der Du erzählst, wurde doch gerettet! Sie betete, und sie wurde gerettet. Das ist doch logisch, finde ich. Gott hat immer Seine Gründe. Vielleicht wollte Er sie auf die Probe stellen, indem Er alle die anderen sterben ließ?
Verzweiflung und tiefe Ohnmacht breiteten sich in Mikaels Herzen aus. Wie sollte seine Frau ihn jemals verstehen können? Wie sollte er sie verstehen können?
Bezüglich Deiner eigenen Probleme stehe ich voll und ganz an Deiner Seite. Es rührt mich sehr, daß Du mir Deine Seelenqualen anvertraust. Wenn Du meinen Trost brauchst, werde ich ihn Dir mit Demut bereitwillig geben.
Aber was Du in Deinem Brief über einen Besuch bei Dänen und über diesen Uhlfeldt schreibst, ist ziemlich unachtsam, finde ich. Ein Brief ist eine unsichere Sache und kann Schmach und Schande
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