Die Saga vom Eisvolk 09 - Der Einsame
Mörby übernachten.«
Er sah sie bestürzt an. Vor lauter Verlegenheit begann Anette fast zu weinen und wandte sich ab.
»Ich dachte, daß du dich heute erst einmal erholen möchtest.«
Es dauerte eine Weile bis er antworten konnte. »Ja, danke«, stieß er hervor. »Danke, Anette!«
»Ich meine, vielleicht sollten wir mal ungestört miteinander reden können«, erwiderte sie mit niedergeschlagenen Augen. »Ja!«
Unsicher legte er die Hände auf ihre Schultern und zog sie näher heran.
»Mikael… nicht hier! Es könnte uns jemand sehen.« Etwas zerbrach in ihm. »Und wenn schon, zur Hölle. Den Dienstboten müßte es eigentlich merkwürdig vorkommen, daß wir nie…« »Mikael! Du sollst nicht fluchen!«
»Ach zum Teufel«, sagte er verzweifelt und drehte sich auf dem Absatz um.
Eine Weile blieb Anette wie gelähmt stehen. Dann lief sie ihm nach.
»Entschuldigung«, sagte sie halb erstickt vor Tränen. »Verzeih« mir! Ich habe es nicht so gemeint.« Er blieb stehen und seufzte. »Ich sollte um Verzeihung bitten. Draußen im Krieg hat mich ein Traum am Leben gehalten, ein Traum von uns beiden. Am Ende habe ich ihn für Wirklichkeit gehalten. Naiv von mir, ich weiß. Ich bin so unausgeglichen, Anette. Ich vertrage jetzt keinen unnötigen Streit.«
»Es tut mir so leid.« Sie klang ganz zerknirscht. »Ich hatte mir soviel vorgenommen. Ich wollte alles versuchen, um dich zu verstehen. Und das ist nun der Anfang!« »Du bist wie du bist«, sagte er müde. »Du kannst nichts dafür. Ich werde dich nicht mehr belästigen. Vergiß meine Briefe, es bleibt alles beim Alten.«
Jetzt weinte sie wirklich. Sie legte die Hand auf seinen Arm. »Nein, Mikael, gib mir noch eine Chance, dir zu helfen! Ich möchte so gern und vermag doch so wenig.« Er streichelte ihre Schulter. »Ja natürlich. Wir wollen es morgen abend versuchen und richtig miteinander reden. Aber du hast recht, jetzt brauche ich erst einmal Schlaf.« Mit schweren Schritten ging er in sein Zimmer hinauf, das vor langer Zeit einmal Dominic gehört hatte. Er war gerade dabei seine Stiefel auszuziehen, als der Junge hereinkam, nachdem er wohlerzogen an die Tür geklopft hatte. Im Schein der Abendsonne glänzten seine gelben Augen noch mehr als sonst.
»Hallo, Dominic, woran denkst du?« fragte Mikael sanft. Der Junge dachte erst nach, bevor er sagte: »Es ist jetzt an der Zeit zu reisen, Vater.«
Mikael blieb ganz still sitzen. Er streckte die Hand nach seinem Sohn aus, der näher herankam.
»Ja, Dominic.« »Du solltest jetzt aufbrechen, Vater.« »Es kann sonst zu spät sein.«
»Ja. Es ist jetzt höchste Zeit. Woher weißt du das, Dominic?«
»Nein, ich weiß es nicht. Ich fühle nur… daß Ihr erwartet werdet, Vater. Wohin reisen wir?« »Nach… «
Ihm fiel plötzlich auf, was sein Sohn gesagt hatte. Zum ersten wußte der Junge anscheinend nichts vom Ziel der Reise, und zweitens hatte er wir gesagt.
»Ich komme mit«, sagte der Kleine ganz ruhig. Mikael lag schon der Einwand auf der Zunge, daß seine Mutter ihn brauche. Aber als er den Jungen ansah, sagte er nur: »Ja, Dominic, es ist am besten, wenn du mitkommst. Wir werden auch Mutter fragen, ob sie mit uns fahren möchte.«
»Das will sie nicht. Aber wir können sie ja fragen.« »Wohin wollt ihr?« fragte Anette von der Tür her. Dominic drehte sich in Mikaels Armen um. »Nach Hause.«
»Nach Hause?« fragte sie mit unsicher zitternder Stimme. »Aber das ist doch hier!« »Ja, aber Vater muß nach Hause. Es eilt.«
»Nach Norwegen, Anette«, sagte Mikael mit seiner tiefen Stimme. »Dominic weiß, wovon er spricht. Kommst du mit uns?«
»Seid ihr denn ganz verrückt?« rief sie. »Mikael, du hast kein Recht, den Jungen zu zerstören. Ich verbiete euch…«
»Mutter«, unterbrach Dominic sie. »Ich weiß, daß es so sein muß. Wir kommen ja auch bald wieder. Kommt mit uns, Mutter!«
Anette sah dem so abgöttisch geliebten Sohn in die Augen. Plötzlich wußte sie, daß es nichts auf der Welt gab, das die beiden zurückhalten konnte.
»Wir werden später darüber sprechen. Komm jetzt, Dominic, Vater muß schlafen.«
Am nächsten Tag schickten sie den Jungen nach Mörby. Er protestierte nicht, sondern war im Gegenteil sehr davon angetan, daß er bei dem etwas älteren Kameraden übernachten durfte.
Am frühen Abend gab Anette den Dienstboten frei. Mikael stöhnte. Wollte man jedesmal alle Menschen aus dem Haus schicken, wenn sie miteinander sprechen wollten, dann glaubte er nicht
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