Die Saga vom Eisvolk 09 - Der Einsame
Ehe?«
Mikael seufzte. »Es war eine arrangierte Heirat, von meinen Pflegeeltern vereinbart. Ich habe darauf Rücksicht genommen. Wie immer.«
Wieder seufzte er. »Im Laufe der Jahre habe ich gemerkt, daß Rücksichtnahme sich rächt. Wenn auf einer Insel hundert Menschen leben, von denen neunundneunzig rücksichtsvoll sind, so gewinnt trotzdem der Rücksichtslose. Denn die Rücksichtsvollen werden ihn nicht unter Druck setzen. Ich weiß das alles - und trotzdem denke ich immer zuerst an die Wünsche anderer. Es ist falsch, ich weiß.«
»Tarjei war genauso«, sagte Brand. »Er litt auch unter seiner ewigen Rücksichtnahme.«
»Gott segne euch beide dafür«, murmelte Liv. »Und in deiner Ehe war es auch nicht anders?«
»Wenn es so klingt, als sei meine Frau rücksichtslos, dann habe ich mich falsch ausgedrückt. Sie ist sehr gehemmt, und ich will mich nicht aufdrängen. Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, sie zu lieben. Aber ich bin ihr nur ein Klotz am Bein. Sie sollte frei sein, damit sie jemanden heiraten kann, der zu ihr paßt.« Alle sahen ihn bestürzt an.
»Das klingt nicht gerade nach einem blühenden Liebesleben, Mikael«, sagte Cecilie.
Er drehte sich zu ihr um. »Nur zweimal ist sie voll und ganz meine Frau gewesen. Zweimal in fast neun Jahren.« »Wundert mich nicht, daß sie einen anderen gefunden hat«, sagte Cecilie mehr aufrichtig als rücksichtsvoll. »Aber immerhin hast du Dominic zustande gebracht bei diesen lumpigen zwei Malen. Nicht schlecht!« »Aber Cecilie!« rief ihre Mutter.
Mikael nahm es ruhig hin. »Ihr dürft nicht vergessen, daß ich die meiste Zeit fort war.«
Are legte seinen Arm auf Mikaels Arm. »Aber du bleibst eine Weile hier, nicht wahr?«
»Ja«, lächelte er den Großvater an, »wenn ich darf.« »So lange du willst«, sagte Are.
»Ich fühle mich hier zu Hause. Es ist das erste Mal, daß ich mit anderen offen über meine Schwierigkeiten sprechen kann.«
»Mikael, was fehlt dir eigentlich? Ich meine, man sieht es dir direkt an, daß du krank bist.« Yrja sah ihn fragend an. »Ich weiß nicht, was mir fehlt«, mußte er zugeben. »Eine ausgesprochene Frohnatur bin ich nie gewesen, aber seit ein paar Jahren bedrückt mich eine tiefe Melancholie.« »Hat die etwas mit deiner Ehe zu tun?«
»Nein… Nein, das glaube ich nicht. Obwohl die mir nicht gerade geholfen hat.«
»Eine körperliche Krankheit ist das nicht, glaube ich«, sagte Mattias. »Du leidest an Schwermut.«
Schwermut? Da war es wieder, dieses Wort! Er entschloß sich, alles zu erzählen, Diese Menschen hier würden ihn verstehen.
»Begonnen hat alles damals in Livland. Ich hatte einen richtigen Zusammenbruch, von dem ich mich nie wieder so recht erholt habe.«
»Was hat deinen Zusammenbruch denn ausgelöst?« Mattias, der Arzt, hatte die Frage gestellt.
»Der Krieg. Das Soldatenleben. Irgendwann geht's nicht mehr weiter.«
»Nun, wenn es dir so sehr mißfällt, dann ist ein Zusammenbruch nur natürlich.«
Mikael wurde nachdenklich. »Aber ich glaube, das hatte einen anderen Grund, ich meine, daß ich seelisch so am Ende war und das Soldatenleben nicht mehr ertragen konnte. An dem Tag hatte ich nämlich ein schreckliches Erlebnis. Schrecklich weil ich glaubte, nicht normal zu sein. Seit ich hier bin habe ich begriffen, daß mir mein Eisvolk-Blut einen Streich gespielt hat.« »Laß uns hören.«
»Dort gab es einen alten Herrenhof. Ein großes Gut. Und da stand auch ein Kirchenruine…«
So erzählte er von der geheimnisvollen Frau, die ihn schon am ersten Tag veranlaßt hatte, die merkwürdigsten Aufträge für sie auszuführen. Und wie ihm zum Schluß aufgegangen war, daß es sich um die vor zweihundertundfünfzig Jahren verstorbenen Rittersfrau Magda Steierhorn handelte.
Während Mikaels langer Geschichte hatte niemand ein Wort gesagt.
Ares Hand schloß sich fester um Mikaels Arm. »Ach Gott, Junge! Mit den Toten ist nicht zu spaßen.« »Das sagte der alte Mann auch. Die Toten können einen mit Schwermut erfüllen.« »Hat sie dich angefaßt?« fragte Liv.
Mikael dachte nach. »Nein. Doch, das hat sie! Bei unseren letzten Treffen. Da streckte sie die Hand aus und… faßte mich an. Hier am Arm.« »Wie hat sich das angefühlt?«
»Gar nicht. Ich habe überhaupt nichts gefühlt. Aber in ihrer Nähe war es immer so kalt. Muß man sich vor so etwas fürchten? Ihr sagt doch selber, daß Sol hier überall ist.«
»Das ist ein großer Unterschied«, sagte Liv. »Sol zeigt sich nie, wir
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