Die Saga vom Eisvolk 09 - Der Einsame
spüren nur ihre Anwesenheit. Und sie will uns nur Gutes. Diese Frau in Livland war sicher böse!«
Mikael dachte nach. »Ja, jedenfalls war sie stark. Ich meine, sie hatte einen sehr starken Willen.«
Hilde erschauerte. »Das klingt entsetzlich, was du da erzählt hast von ihrem Versuch, nachts durchs Fenster zu kommen. Suchende Hände, starrende Augen… « Mikaels Lächeln ähnelte mehr einer Grimasse. »Ich habe sie ja nie gesehen. Alles war nur Einbildung, verstehst du. Wenn ich die Fenster nicht verhänge, dann sehe ich sie immer so. Aber auch wenn sie nicht wirklich da ist, die Vorstellung allein ist schon schrecklich genug. Meine eigene Phantasie macht mir angst. Eine krankhafte Phantasie, das muß ich zugeben.«
Mattias nickte. »Wir verstehen deine Gefühle.« »Beschreibe uns deine Anfälle«, bat Brand.
Mikael überlegte, wie er sich verständlich ausdrücken, wie er die Finsternis erklären sollte, die ihn zu verschlingen drohte. Und es. Es war nicht leicht, seine Angst in Worte zu fassen.
Noch bevor er es versucht hatte, war von draußen ein durchdringender Schrei zu hören.
»Du meine Güte«, sagte Matilda. »Die Mädchen versuchen, Tristan in der großen Wassertonne zu baden!« »Rettet den letzten Markgrafen!« rief Cecilie mit einem schelmischen Blick auf Alexander. Ständig hatte er ein Auge auf den so sehr ersehnten Sproß des Paladin-Geschlechtes und verwöhnte den Enkel entsetzlich. Natürlich vergaß er seine anderen Enkelkinder dabei nicht. Die jüngeren unter ihnen stürmten alle hinaus, um den völlig verschreckten Tristan vor dem Ertrinken in der Wassertonne zu retten.
Liv, Alexander und Brand blieben sitzen. Und Are selbstverständlich auch.
»Deine Anfälle, Mikael«, sagte Alexander auffordernd. Es fiel ihm leichter, es den älteren und erfahreneren Menschen zu erklären. Sie hörten ihm ruhig zu, aber im Laufe seiner Erzählungen konnte Mikael die wachsende Angst in ihren Augen sehen.
Zum Schluß sagte er wie um sich zu entschuldigen: »Ich hoffe, daß es mir hier bald besser geht. Hier fühle ich mich wohl, und irgendwann müssen die Nachwirkungen ja verschwinden.« »Weißt du, was es ist?« fragte Brand.
»Ja, ich glaube schon. Ich habe aber keinen Namen dafür. Wage auch nicht, es bei seinem richtigen Namen zu nennen.«
Liv legte ihre Hand über seine. »Wir werden deine Schatten vertreiben, Mikael. Du wirst keine Zeit haben, an sie zu denken.« Die anderen nickten zustimmend.
»Hast du eigentlich mit deiner Frau richtig darüber gesprochen?« fragte Alexander. »Das kann hilfreicher sein, als du glaubst.«
»Darüber bin ich mir im klaren«, antwortete Mikael langsam. »Aber man kommt so schwer an sie heran. Ist völlig idiotisch erzogen worden und obendrein fanatische Katholikin. Das macht es nicht gerade leichter.« Sie sahen ihn nachdenklich an.
Liv lächelte. »Es ist merkwürdig mit dem Eisvolk«, sagte sie, während die anderen wieder hereinkamen. »Nicht nur die vom Bösen betroffenen Mitglieder haben sonderbare Erlebnisse. Zwischen Cecilie und Tarjei zum Beispiel bestand eine Art Gedankenübertragung. Und Mikael kann anscheinend unsichtbare Dinge sehen.«
»Ich glaube eher, es war Tarjei, der etwas Übernatürliches an sich hatte«, meinte Cecilie. »Vielleicht hat er seinem Sohn etwas davon vererbt. Einmal hatten Tancred und ich eine übernatürliche Verbindung. Bei mir hat, glaube ich, Sol Schuld daran.«
»Wir anderen sind nur gewöhnliche Menschen«, sagte Andreas. »Langweilig bis zum Umfallen.«
»Aber, aber«, Eli lächelte. »Hat sich jemand von uns beschwert?«
Mikael sah sie alle an und hätte vor Glück zerspringen mögen. Er war unter Seinesgleichen! Und sein geliebter Dominic hatte sich in dieser phantastischen Familie auch zurechtgefunden.
12. Kapitel
Auf dem Heuboden war die ganze Zeit über ein eifriges Gespräch in Gang gewesen.
Dominic, fast vier Jahre älter als Villemo und Niklas, war der große Held. Die Kleinen sahen zu ihm auf wie zu einem Erwachsenen. Ihn überraschte das sehr, aber unbehaglich fand er es nicht.
Villemo mit ihren rotblonden Locken und ihrer reinen Haut drohte, eine Schönheit zu werden. Mit ihren hellen Farben war sie so ganz anders, als die anderen Mitglieder des Eisvolkes. Aber ein ungezügeltes Temperament hatte sie. Sie wollte so schrecklich gern Eindruck auf Dominic machen und führte sich völlig verdreht auf.
Niklas hatte viel von Tarjei. Schräge Augen und hohe Backenknochen, ein verschmitztes Funkeln
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