Die Saga vom Eisvolk 09 - Der Einsame
in den Augen, das langsame Lächeln. Er war ein warmherziger und ruhiger Junge, erweckte aber den Eindruck, es gebe in seinem Inneren eine heimliche Kraft, die jeden Tag zum Ausbruch kommen könne - wie ein scheinbar erloschener Vulkan.
Dominic war der Unschuldige, Warmherzige, der allen nur Gutes tun wollte. Seine Kindheit mit einer fast hysterisch fürsorglichen und liebevollen Mutter und einem Vater, der immer im Krieg war, hatte ihn deutlich geprägt. Hinter seiner scheinbaren Ruhe verbarg sich eine gewisse Unsicherheit. Dominic kanntest die Menschen, ohne es vorläufig richtig zu verstehen, dafür war er noch zu jung. Aber eben dieses Kennen oder Wissen verwunderte und beunruhigte ihn.
»Wir sind Auserwählte«, stellte Villemo eifrig fest, ohne zu wissen, daß Kolgrim einmal denselben Ausdruck benutzt hatte. »Ich hab' mal gehört, daß alle mit gelben Augen etwas Besonderes sind. Niklas zum Beispiel, der hat ganz warme Hände! Einmal hab' ich mich am Ellbogen gestoßen, da hat er seine Hände draufgelegt, und alles war wieder gut. Sofort! Fast.«
Dominic drehte sich mit glänzenden Augen zu Niklas um. Er war ein hübscher Junge, dieser Dominic, und auch für einen vom Eisvolk ungewöhnlich dunkel. Aber er hatte ja auch noch das südfranzösische Blut seiner Mutter. »Ist das wahr?«
Niklas nickte. »Ich weiß nicht, wie ich das mache. Das ist einfach so. Lustig, nicht wahr?«
»Und du, Dominic?« fragte Villemo einschmeichelnd. »Kannst du auch so etwas?«
Dominic dachte nach. »Doch, das kann ich. Nicht so wie Niklas, etwas anderes. Denk an irgend etwas, Villemo! Ganz fest. An ein Ding. Dann rate ich, woran du denkst.« »Was? Kannst du das?« »Manchmal. Versuch es!«
Villemo konzentrierte sich mit fest zusammengekniffenen Augen. Mit hochgezogenen Schultern, zusammengepreßten Händen und eingerollten Zehen dachte sie nach. Sie dachte an die Plätzchen in ihrer Schürzentasche. Dominic schloß die Augen. »Es ist viereckig. Klein und hellbraun. Man kann es essen, und es schmeckt gut. Es liegt verborgen an einem dunklen Ort. Aber es ist etwas Schlimmes dabei. Hast du es genommen? Gestohlen?«
Villemo nickte ohne ihn anzublicken. Niklas sah ihnen mit großen Augen zu.
»Es ist hier in der Nähe«, fuhr Dominic fort. »Ich glaube, es ist Kuchen, und du hast ihn in der Tasche.«
Villemo öffnete die Augen und atmete hörbar auf. »Das ist ja toll!« sagte sie andächtig und fingerte ein Plätzchen aus der Schürzentasche. »Daß du das kannst« Dominic lächelte. Ihm gefiel das. »Und was ist mir dir?« »O, ich… « Villemo fuchtelte mit den Händen. »Ich kann jede Menge. Alles mögliche. Auf dem Wasser gehen. Dich wegzaubern. Mich unsichtbar machen.« »Wirklich?«
Ihr ging die Luft aus. »Nein! Ich kann gar nichts«, sagte sie Unglücklich. Noch nicht. Aber ich weiß, daß ich eine ganze Menge können werde - wenn ich groß bin. Stellt euch vor, was wir alles zusammen machen können, Dominic und Niklas… Nein«, lachte sie, »ich werde euch Dominiklas rufen, da spare ich Zeit.«
»Oje, jetzt fällt Tristan in die Wassertonne«, sagte Niklas. »Ach was. Die wollen ihn baden.«
»Aber sie lassen ihn ja fallen. Wir müssen… Jetzt kommen die Erwachsenen alle.«
»Was für ein Andrang«, kicherte Villemo und äffte die schockierten Rufe nach.
Bevor er überhaupt naß werden konnte, wurde Tristan schon gerettet. Lene und Irmelin standen still da und ließen die Strafpredigt der Eltern über sich ergehen. Vom Heuboden aus sahen drei Augenpaare mit dem guten Gewissen der Unschuldigen zu - nicht ganz ohne Schadenfreude.
Nachdem wieder Ruhe eingekehrt war, sagte Villemo mit leuchtenden Augen: »Das wird toll, wenn ich groß bin!« »Glaub ich auch«, sagte Niklas. »Was wir dann alles zusammen machen können. Leute ärgern und… alles mögliche.«
»Können wir nicht jetzt schon damit anfangen?« fragte Villemo.
»Nein, bist du blöd? Darf doch keiner wissen, daß wir zaubern können, begreifst du das nicht? Kinder dürfen doch gar nichts!«
»Nein, das ist wahr. Erst müssen wir alles richtig lernen. Dann können die was erleben. Ich will groß sein - so fort!« »Ich auch!«
Dominic sagte gar nichts. Er dachte an seinen Vater, und die Angst legte sich wie eine riesige Faust um sein kindlich ergebenes Herz.
Am Nachmittag erzählte Are Mikael von seinem langen Leben.
»Warte, Großvater«, sagte Mikael. »Kann ich mir vielleicht etwas zum Schreiben holen? Ich finde das alles so interessant,
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