Die Saga vom Eisvolk 09 - Der Einsame
Tancred zurückhaltend.
»Ich habe mal einen Lind vom Eisvolk gekannt. Ist schon viele Jahre her. Er war Offizier in der schwedischen Armee, in Livland.«
»Mikael«, lächelte Tancred. »Ja, der ist auch hier. Ich habe noch heute morgen mit ihm gesprochen.«
»Was Ihr nicht sagt! Ich habe mich immer gefragt, wie es ihm ergangen ist. Er war fürchterlich krank, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Einen schlimmeren Zusammenbruch habe ich nie erlebt.«
Tancred horchte auf. »Von dem Zusammenbruch würde ich gerne etwas hören. Wir verstehen nämlich nicht, was ihm eigentlich fehlt und machen uns große Sorgen.« Sie entschuldigten sich bei dem norwegischen Offizier und gingen hinüber zum Festungswall.
»Wir dachten natürlich, er sei verrückt geworden«, berichtete der freigelassene Gefangene. »Und in gewisser Weise war er das wohl auch. Er faselte etwas von einem alten Gut, und daß wir dahingehen müßten, um dem Besitzer gegen ein paar Schwindler beizustehen. Ich wurde dann zu diesem Gut geschickt. Das war kurz vor unserem Aufbruch nach Polen. Das waren vielleicht merkwürdige Zustände auf dem Herrensitz.«
»Erzählt! Das ist für uns alle von großem Interesse.« Der Gefangene erzählte von seinem Besuch auf dem Gutshof. Tancred wurde immer nachdenklicher. Als der Mann seinen Bericht beendet hatte, rief der junge Markgraf Paladin aus:
»Kommt mit mir nach Grästensholm - jetzt sofort! Ich besorge Euch eine Genehmigung, mit der Ihr Euch in ganz Norwegen frei bewegen könnt. Das muß Mikael hören!«
Aber an dem Tag kamen sie nicht nach Lindenallee. Tancred konnte seine Pflichten auf der Festung Akershus nicht so schnell erledigen. Es hatte noch viel zu tun. Und der Schwede begann, unruhig zu werden, er wollte so schnell wie möglich zurück in sein Heimatland.
Tancred wurde ganz nervös. Dazu hatte er auch allen Grund.
An dem Tag, an dem Tancred mit dem Gefangenen gesprochen hatte, besuchte Mikael Grästensholm und Elistrand. Er aß mehr, als ihm bekam, denn sie wußten nicht, was sie ihm alle Gutes tun sollten. Mit allen führte er lange Gespräche und machte sich kurze Notizen über deren Leben. Es gab so viel zu erzählen! Kalebs und Mattias Aufenthalt in den Gruben von Kongsberg. Tancreds Abenteuer auf Jütland hatte Mikael schon an Tag vorher zu hören bekommen. Hildes Begegnung mit dem »Werwolf«. Die Geschichte von Tarald und Yrja. Alexanders Erlebnisse im Dreißigjährigen Krieg …
Liv hatte natürlich am meisten zu erzählen. Sie war die älteste, siebenundsiebzig Jahre alt. Ein langes Leben, aus dem sie schöpfen konnte.
»Wie schön, daß du alles aufschreibst, Mikael«, sagte sie. »Weißt du, meine Mutter Silje hat ein Tagebuch geführt. Aber bei ihrem Tode entstand eine so tragische Verwirrung, daß ich es irgendwie verlegt habe, noch bevor ich es lesen konnte. Manchmal hat man etwas in der Hand und legt es dann einfach irgendwo hin, ohne zu wissen, was man tut.« Mikael nickte. Das kannte er auch.
»Nun ist es auf immer verloren«, seufzte Liv. »Wahrscheinlich hat es jemand weggeworfen. Schade. Darum finde ich es großartig, daß du alles aufschreibst.« »Das ist alles sehr aufregend«, sagte Mikael mit glänzenden Augen. »Besonders wichtig finde ich das, was Ihr und Großvater zu erzählen habt. Ihr kennt ja noch die vorigen Generationen, denen wir nie begegnet sind.«
Zustimmend lächelte Liv.
»Mattias hat mir von seinem schönen Papier gegeben, das er sonst als Arzt benutzt«, fuhr Mikael eifrig fort. »Heute nachmittag werde ich dieses Gekritzel mal in Reinschrift übertragen, sonst vergesse ich noch, was alles bedeuten soll.«
»Ausgezeichnet! Aber das beste ist, daß du etwas von Interesse für dich gefunden hast. Das ist immer eine Labsal für ein trauriges Gemüt.«
Zur Reinschrift seiner Notizen blieb Mikael allerdings nicht viel Zeit. Gegen Abend ging es Are schlechter. Die Freude der letzten Tage war zuviel für ihn gewesen. »Ich fürchte, es geht zu Ende«, sagte Brand. »Gibt es gar nichts… ?« begann Mikael.
»Gar nichts. Mattias hat getan was er konnte, sogar Niklas hat seine kleinen Hände auf Vater gelegt, aber nichts hat geholfen. Mattias meint, es sei ein Wunder, daß er überhaupt so lange gelebt hat. Wir glauben alle, er hat nur auf dich gewartet. Er ist so unglaublich willensstark. Für ihn war deine Heimkehr wie ein Geschenk des Himmels.«
»Ein Glück, daß Dominic uns zur Eile getrieben hat! Ich halte heute nacht Wache bei Großvater,
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