Die Saga von Thale 01 - Elfenfeuer
wundern, wenn er sogar die Fragen schon kannte, die er ihm stellen wollte.
Der Seher begann erneut zu sprechen und der Klang seiner brüchigen Stimme ließ erahnen, wie unendlich lange kein Ton mehr aus seiner Kehle gekommen war. »Du vermutest richtig. Ich kenne deine Fragen und ich kenne auch die Antworten dazu, aber noch ist es nicht sicher, ob du sie auch hören wirst.«
Die Worte des Alten machten Tarek zornig. Wen glaubte dieser einfältige alte Mann vor sich zu haben? Er würde seine Antworten bekommen, selbst wenn der Seher nicht bereit war freiwillig zu sprechen. Dafür kannte er viele erfolgreiche Methoden.
Tarek steckte die Fackel in eine rostige Halterung. »Du solltest mir besser alles, was du über das Kind mit dem Mal weißt, erzählen, alter Mann«, sagte er drohend. Er war sich über das Alter des Mannes nicht sicher, aber der Seher machte den Eindruck, als hätte er die übliche Lebenserwartung bereits weit überschritten. »Solltest du dich weigern, werden die letzten Stunden deines Lebens sehr unangenehm und schmerzhaft für dich werden«, drohte er.
Doch der Alte ließ sich nicht so leicht einschüchtern. »Mächtiger Gebieter«, erklärte er in einem Tonfall, der deutlich machte, dass Macht ihm nichts bedeutete. »Ihr versucht jemandem zu drohen, der bereits tot ist.« Er schüttelte sein greises Haupt und deutete mit seiner knochigen Hand in die Richtung, wo er den Himmel vermutete. »Die Zwillingsmonde haben sich verfinstert, wie Anthork es einst vorhergesagt hat. Ein Kind wolltet Ihr finden und habt dazu ein mächtiges Wesen der Finsternis beschworen, Euch zu helfen. Dennoch blieb Eure Suche erfolglos.«
Wie aus weiter Ferne rollte ein Donner heran und ließ den Boden des Kerkers erbeben. Er war gerade laut genug, um zu verkünden, dass sich das Gewitter nun direkt über der Festungsstadt befand.
Tarek schenkte dem Unwetter keine Beachtung. »Du hast die Wahl, Seher«, drängte er. »Entweder du antwortest freiwillig oder wir werden dich dazu zwingen. Wähle gut, alter Mann, denn wenn du uns hilfst, könnte dies für dich die Freiheit bedeuten.«
Der Seher seufzte und schüttelte erneut den Kopf. »Ihr verschwendet Eure Zeit, mächtiger Tarek. Die Freiheit, nach der ich mich sehne, könnt Ihr mir in diesem Leben nicht mehr bieten. Schon bald wird die Göttin ihre Hand nach mir ausstrecken und mich zu sich rufen. Dann… werde ich wirklich frei sein!«
Zornig packte Tarek den alten Mann bei den Schultern und hob ihn hoch. Wie konnte dieser halb tote Gefangene es wagen, sich ihm zu widersetzen und sein großzügiges Angebot verhöhnen! Der Seher wirkte so leicht und zerbrechlich wie ein kleines Kind, seine Muskeln waren schlaff und er hing wie eine Puppe in Tareks Händen, der ihn erbost anblickte. »Du wirst mir jetzt sofort antworten«, schrie er aufgebracht. »Sag mir, ob die Prophezeiung des Druiden sich gestern Nacht erfüllt hat! Gibt es in Thale ein Kind mit dem Mal der Zwillingsmonde?« Wütend schüttelte er den alten Mann hin und her.
In diesem Moment ließ ein lauter Donner den Boden des Kerkers erzittern. Feiner Staub rieselte von der Decke.
»Ah!« Der Seher stöhnte vor Schmerzen, versuchte jedoch nicht, sich aus Tareks Griff zu befreien. »Es ist Euch nicht bestimmt, das Kind mit dem Mal zu finden.« Die Stimme des Sehers war schwach und kaum zu verstehen. Dennoch sprach er weiter, während er mit seinen blinden Augen zur Zellendecke hinaufstarrte, als würde er von dort Hilfe erwarten. »Verborgen wird es bleiben, noch viele Jahre lang. Erst wenn es zu spät ist, werdet Ihr es erkennen.«
»Also wurde es doch geboren!« Tareks Wut über sein eigenes Versagen kannte keine Grenzen und richtete sich unmittelbar gegen den Gefangenen. Wutentbrannt hob er den Alten hoch und wollte ihn gerade in eine Ecke schleudern, als ihm einfiel, dass der Seher auch wissen musste, wo man das Kind versteckt hielt. »Sag mir, wo es ist. Sag mir, wo ich das Kind finden kann!«, schrie er den Seher an und schüttelte ihn erneut.
Plötzlich ließ ein gewaltiger Donnerschlag die Grundmauern der Feste erbeben und riss Tarek von den Füßen. Erschrocken ließ er den alten Mann los und stürzte zu Boden. Der Seher fiel dicht neben ihm auf den harten Stein, wo er regungslos und mit verdrehten Gliedern liegen blieb. Das Beben wollte kein Ende nehmen. Wände und Decke der Zelle begannen zu knirschen und immer mehr Staub rieselte aus den Ritzen und Fugen. Die beiden Ratten in der Zelle verschwanden
Weitere Kostenlose Bücher