Die Saga von Thale 02 - Die Macht des Elfenfeuers
lichtete sich und am Himmel zog ein einsamer Falke seine Kreise. Kein einziges Geräusch drang aus dem Lager der Cha-Gurrline, das sich irgendwo in den Wäldern am Rande der Ebene befand, zu ihm herauf, doch Sheehan machte sich nichts vor. Es war undenkbar, dass die Feinde einfach abgerückt waren.
»Sie sind da draußen! « Enron trat humpelnd neben Sheehan. In seinem Gesicht spiegelten sich Misstrauen und Besorgnis.
Sheehan nickte. »Aber was haben sie vor?«
»Wenn die Sonne untergeht, werden wir es wissen!« Fröstelnd zog Enron den dunklen Umhang fester um den Körper, um sich vor der morgendlichen Kühle zu schützen, und legte die Hand zum Schutz gegen die Sonne über die Augen. »Es ist so still« , sagte er und spähte über die Ebene. »Zu still! « Hinter Enron bewegte sich etwas. Es war Tabor. Verstohlen blickte Sheehan zu ihm hinüber. Der junge Elf starrte ins Leere. Seine Schritte wirkten müde und kraftlos, als er auf Sheehan zukam, und auf der Stirn zeigten sich tiefe Falten. Enron sah ihn kommen und räusperte sieh verlegen. »Nun, dann ... dann werde ich gehen. Die . .. die Heilerinnen sehen es gar nicht gern, wenn ich so viel herumlaufe.« Er verabschiedete sich mit einem Kopfnicken von Sheehan und humpelte zur Treppe.
Schweigend stellte sich Tabor zu Sheehan an die Mauerbrüstung und blickte über die Ebene. Der Elfenkrieger folgte seinem Blick. Die letzten Nebelfetzen schwebten in der Luft wie ein Schleier, der von einer unsichtbaren Macht bewegt wird. »Was ist?«, fragte Sheehan leise.
Tabor schüttelte den Kopf und Sheehan spürte, dass er noch nicht bereit war zum Sprechen. Sein Blick war so unendlich traurig, dass Sheehan es kaum ertragen konnte, ihn leiden zu sehen. Dennoch wartete er geduldig, bis Tabor von sich aus das Wort an ihn richtete. Für viele Augenblicke blieb der einsame Schrei des Falken das einzige Geräusch in der morgendlichen Stille.
»Naemy ist tot!« Diese drei Worte erklärten alles. Tabors Stimme klang dünn und brüchig und die Worte verwehten wie die Nebelschleier, doch sie verfehlten ihre Wirkung nicht. »Tot?« Fassungslos starrte Sheehan seinen Freund und Gefährten an. »Aber wie ... ?
»Ich weiß es nicht!« Tabor schüttelte verzweifelt den Kopf. »Es geschah, als ich mit den Riesenalpen gegen den Feuerdämon kämpfte. Ich hörte, wie sie nach mir rief, aber ich war so in den Kampf verwickelt, dass . . . dass. . . Bei der Göttin, ich konnte doch nicht wissen, dass sie . . . dass sie . . . « Er brach ab und schlug die Hände vor das Gesicht. Sheehan spürte, wie er um seine Fassung rang, und bedrängte ihn nicht.
»Ihre Stimme war so schwach « , fuhr Tabor schließlich fort. »So dünn und schwach. Ich wollte ihr antworten. Später, wenn der Kampf vorbei wäre, wollte ich ihr antworten. Aber der Dämon beanspruchte meine ganze Aufmerksamkeit. Ich . . . ich habe nicht gespürt, wie sie . . . Erst nach dem Kampf.. . Bei der Göttin ... Aber da war sie schon tot.« Er schluchzte nicht, doch Sheehan sah die Tränen, die ihm über die Wangen liefen, und legte ihm tröstend den Arm um die Schultern. »Ich fühle mit dir, Bruder«, sagte er leise. Er wusste, dass es keine Worte gab, die Tabors Schmerz lindern konnten. Nicht nur die Elfenkinder, auch Sheehan hatte bei dem Angriff auf Caira-Dan seine ganze Familie verloren. Hastig verdrängte er die Bilder seiner jungen Frau, seiner Eltern und Geschwister, deren Andenken er tief in seinem Herzen verschlossen hatte. Er würde erst trauern, wenn der Feind besiegt, aus Thale vertrieben und sein Verlangen nach Gerechtigkeit gestillt war.
So standen die beiden Elfenkrieger noch lange Seite an Seite und suchten nach Antworten, die es nicht gab, während das Sonnenlicht die langen Schatten der Valdorberge verzehrte und ein neuer Tag begann.
Ein leises Rascheln riss Lya-Numi aus ihrem unruhigen Schlaf.
Nach Naemys Verschwinden hatte sie noch eine ganze Weile in der Dunkelheit gesessen und wie betäubt in die Finsternis gestarrt. Immer wieder durchlebte sie dabei in Gedanken den schrecklichen Moment, als Naemy von dem ungeheuren Sog in das Tor hineingerissen wurde, und das grausame Schicksal ihrer Freundin lähmte sie. Irgendwann hatten die Anstrengungen und der hohe Blutverlust ihren Tribut gefordert und sie war in einen ohnmächtigen Dämmerzustand gefallen, in dem die letzten Worte der Elfenkriegerin immer wieder durch ihre wirren Träume hallten: »Sag Tabor, dass ich ihn liebe und sehr stolz auf ihn . . .
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