Die Saga von Thale 02 - Die Macht des Elfenfeuers
bittere Gewissheit, diesmal nicht vor dem Aufprall zu erwachen, lähmte ihre Sinne und ließ sie die Eindrücke des Sturzes aus einer unwirklichen Distanz betrachten, als sei sie nicht selbst in Gefahr, sondern nur eine unbeteiligte Zuschauerin.
Die Zeit hatte ihre Bedeutung verloren. Die wenigen Augenblicke des Sturzes dehnten sich, bis
Kiany das Gefühl hatte, alles laufe unendlich langsam ab. Jede einzelne Bewegung der Cha-Gurrline, die sich unter ihr drängten und verblüfft zu ihr herauf starrten, nahm sie überdeutlich wahr und die Bilder brannten sich unauslöschlich in ihr Bewusstsein. Sie wunderte sich darüber, dass sich die vielen Krieger so lautlos verhielten, denn außer dem Rauschen des Windes drang kein Laut an ihre Ohren.
Die Arme weit ausgebreitet, stürzte Kiany der Erde entgegen. Sie wusste, dass sie den Aufprall nicht überleben würde, aber sie verspürte keine Furcht. Die Cha-Gurrline waren inzwischen so nahe, dass sie den Geifer von den gebogenen Hauern der hünenhaften Krieger tropfen sah.
Es ist vorbei. Gleich werde ich am Boden zerschellen, dachte sie und schloss die Augen in Erwartung dieses letzten Augenblicks. Bilder aus glücklichen Tagen blitzten in rasender Folge vor ihrem geistigen Auge auf. Bilder ihrer Mutter, ihres Vaters und Atumis, der alten Heilerin. Aber auch Banor, Manou und Naemy erschienen ihr und dahinter hörte sie die Stimme eines Mannes, der in einer fremden Sprache kurze Befehle brüllte. Dann spürte sie einen heftigen Schlag und es wurde dunkel.
»Wendorn dar!« Indem er die Gerte rücksichtslos einsetzte, bahnte sich Methar auf dem Rücken seines Pferdes einen Weg durch die Menge der Krieger, die das Mädchen, das »vom Himmel gefallen« war, gaffend umstanden. »Darari, darraü«, fuhr er die Cha-Gurrline an, die dem Berater des Meisters nur widerstrebend Platz machten. Wenig später stand Methar vor dem Mädchen. Der Anblick, der sich ihm bot, verschlug ihm die Sprache und er stieg hastig aus dem Sattel, um sie genauer zu betrachten. Entgegen seinen Erwartungen war ihr Körper nicht zerschunden im Gegenteil! Bis auf die blutende Wunde am Oberschenkel wirkte sie so unversehrt, als wäre sie nur hingefallen und nicht aus einer Höhe von über zwanzig Längen herabgestürzt. Das lange dunkle Haar bedeckte ihr Gesicht in wirren Strähnen und Methar kniete nieder, um sie anzusehen. Als er es vorsichtig zur Seite schob, stockte ihm der Atem. Sie war wunderschön. Ihr Atem ging flach und stoßweise, doch allein die Tatsache, dass sie den Sturz überlebt hatte, erschien Methar wie ein Wunder. Hastig richtete er sich auf und deutete auf das Mädchen. »Gen ra netroms? Was ist geschehen ? « , fragte er die umstehenden Cha-Gurrline, während sein Blick aufmerksam über die grimmigen und verschlossenen Gesichter der Krieger wanderte. Alles schwieg. Keiner der Cha-Gurrline wollte Auskunft geben. »Gen ra netroms?«, fragte Methar noch einmal und diesmal schwang ein drohender Unterton in seiner Stimme mit.
»Ne rats teruim as kalrendra gret niha seslum.« Ein stämmiger Krieger trat vor. Den Blick zum Himmel gerichtet, streckte er die Arme in einer Geste aus, als wolle er etwas auffangen. Methar beherrschte die Sprache der Cha-Gurrline nur bruchstückhaft, aber die Aussage war eindeutig. Einer der Krieger hatte das Mädchen demnach aufgefangen.
»Ngarer re trow atum si nerra«, sagte der Krieger und deutete auf einen Punkt hinter sich. Methar runzelte die Stirn. Ngarer bedeutete so viel wie Heiler. Offensichtlich hatte sich der Cha-Gurrlin, der das Mädchen gerettet hatte, verletzt und war auf dem Weg zu den Heilern.
»Datar!« Mit einer knappen Handbewegung entließ Methar den Krieger und winkte zwei andere heran. Das Mädchen musste unverzüglich zu Asco-Bahrran gebracht werden. In diesem Zustand wäre sie als Medium zwar nicht zu gebrauchen, doch das war nebensächlich. Hauptsache, sie lebte!
Den Stab der Weisheit in Händen, trat die Gütige Göttin vor den großen Spiegel in der Halle der Träume und machte sich bereit. Mit einem leise trällernden Laut rief sie ihren Falken herbei, der augenblicklich durch eines der acht hohen Fenster hereingeflogen kam, hinter denen sich der Garten des Lebens erstreckte. Vorsichtig ließ er sich auf dem ausgestreckten Arm der Göttin nieder und putzte sein Gefieder.
»Ich habe eine Aufgabe für dich « , sagte die Göttin, hob den Stab der Weisheit und vollführte damit eine kreisende Bewegung vor dem Spiegel. Sie hatte die
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