Die Saga von Thale 02 - Die Macht des Elfenfeuers
unnatürliche Wolkendecke verschwunden. Zu jeder anderen Zeit hätte Naemy sich Gedanken darüber gemacht, hätte überlegt, was dort hinten vorgefallen sein mochte.
Vielleicht wäre sie sogar hingeflogen, doch alles war ihr gleichgültig. Ihre Gedanken weilten weit entfernt und ihr Herz pochte in schmerzhafter Trauer.
Der Widerschein des strahlenden Abendrots fiel sanft auf Zahir, der sterbend im weichen Gras lag. Dutzende schwarz gefiederter Pfeile ragten aus seinem Bauch, die Augen waren geschlossen und der Atem ging unregelmäßig.
Naemy saß neben ihm und hatte ihm die Arme um den Hals geschlungen. Tränen glitzerten ihr in den Augen. »Zahir«, flüsterte sie mit bebender Stimme. »Oh, Zahir, mein treuer Freund, was habe ich getan ? «
Der Kummer zerriss ihr fast das Herz. Nie zuvor hatte sie sich so schuldig gefühlt. Warum hatte sie auch unbedingt erkunden wollen, was sich hinter der Wolke befand ? Warum war sie nicht umgekehrt, als sie die ersten verschwommenen Umrisse des Cha-Gurrlinen-Heers durch die Wolken gesehen hatte? Im Nachhinein verfluchte sich Naemy für ihren Starrsinn. Es hätte doch gereicht, dem Rat zu berichten, dass ein gewaltiges Heer auf Nimrod zumarschiert, aber damit hatte sie sich nicht zufrieden geben wollen. Gegen Zahirs Rat hatte sie darauf bestanden, dass er noch tiefer ging, um genauere Aufschlüsse zu erhalten.
Warum hatte sie nicht auf den Riesenalp gehört? Naemy ballte die Fäuste. Sie war überzeugt gewesen, dass die Krieger sie noch nicht bemerkt hatten. Inzwischen wusste sie, dass es ein folgenschwerer Irrtum war, aber es hatte keinen Sinn, weiter darüber nachzudenken. Es war zu spät.
Sie hatte Kiany verloren und Zahir lag im Sterben. Naemy schluchzte. Das alles war allein ihre Schuld. Noch einmal durchlebte sie in Gedanken den Moment, als Zahir durch die Wolkendecke brach. Nur ein kurzes Stück sollte er über das Heer der Cha-Gurrline hinwegfliegen und wieder aufsteigen, bevor auch nur ein einziger Pfeil abgeschossen werden konnte.
So war es geplant gewesen, aber die Cha-Gurrline hatten sie bereits erwartet. Dem tödlichen Pfeilhagel Dutzender Armbrüste hatte Zahir nicht mehr ausweichen können. Selbstlos hatte er versucht, die beiden Frauen auf seinem Rücken vor den Pfeilen zu schützen. Doch auch er konnte nicht verhindern, dass Kiany verwundet wurde, den Halt verlor und in die Tiefe stürzte.
Ihr gellender Schrei hallte noch immer in Naemys Gedanken nach und angesichts der Ungewissheit, ob das Mädchen noch am Leben war, wuchs ihr Kummer ins Unerträgliche. Verzweifelt schmiegte sie sich tief in Zahirs weiches Gefieder und ließ den Tränen freien Lauf. Sie verdiente es nicht, dass Zahir sie in Sicherheit gebracht hatte. Trotz der tödlichen Wunden, die die schwarzen Pfeile in seine Brust gerissen hatten, war es ihm noch gelungen, sie von dem Heer fortzutragen. Er war geflogen, bis seine Kräfte erschöpft waren und dann kraftlos zu Boden geglitten.
Seitdem hatte Zahir nicht mehr zu Naemy gesprochen. Mit jedem Herzschlag floss das Leben aus den klaffenden Wunden und die Nebelelfe spürte, wie er ihr immer weiter entglitt.
»Geh nicht!«, hauchte sie, wohl wissend, dass ihm nicht mehr zu helfen war. Sie hatte es versucht. Unmittelbar nach der Landung hatte sie sich verzweifelt darum bemüht, die Blutungen zu stillen. Bei einigen kleineren Wunden war es ihr auch gelungen, doch eine Reihe von Pfeilen hatte die Lunge des Riesenalps durchbohrt -eine Heilung war ausgeschlossen. So blieb ihr nichts anderes übrig, als an Zahirs Seite zu wachen, bis sein Geist den Körper verlassen hatte. Ein letzter trauriger Dienst für den gewaltigen Vogel, den sie liebte wie einen Sohn.
»Naemy?« Zahirs Ruf strich so schwach durch ihre Gedanken, als sei er schon unendlich weit fort. Beim Klang der vertrauten Stimme krampfte sich ihr Herz schmerzhaft zusammen. »Zahir? Oh, Zahir, es tut mir so Leid«, sandte sie einen Gedanken an den Riesenalp. »Verzeih mir! Ich hätte dich nicht zwingen dürfen, hätte auf dich hören . . . «
»Naemy, sieh doch nur. . . die vielen Riesenalpe! « Zahir schien sie gar nicht zu hören. Sein Herz raste und sein Atem ging plötzlich in kurzen heftigen Stößen. »Es sind so . . . so viele. Naemy ? Wo bist du ? «
»Ich bin hier!« Naemy richtete sich auf und strich dem Riesenalp ganz sanft sanft über die Stirn. Sie spürte, dass er bald fortgehen würde, und ihre Tränen fielen als glitzernde Tropfen auf sein graues Federkleid.
»Da ist ein
Weitere Kostenlose Bücher