Die Saga von Thale 02 - Die Macht des Elfenfeuers
überraschend und hatte nichts Schreckliches an sich. Irgendwie erschien es Tabor richtig, dass er hier und jetzt starb. Die Zeit, sich in sein vorbestimmtes Schicksal zu fügen, war gekommen und er war bereit, dem Tod ins Auge zu sehen.
Plötzlich schwirrten leise Stimmen in seinem Kopf. Geheimnisvolle Stimmen, die in der Sprache seiner Ahnen zu ihm flüsterten. »Palmi noryn? Wohin gehen wir?«, flüsterten sie. Und: »Tulon nin? . . . mar nin? Mein Name? ... Meine Heimat?« Die Stimmen entfernten sich, schwebten fort und kamen wieder. Erst raunten sie ihm ihre Fragen zu, so traurig und verloren, als müsse er darauf eine Antwort wissen. Dann lockten sie ihn süß und lieblich, er solle ihnen folgen. Plötzlich hörte er jemanden ganz in der Nähe flüstern:
» ... noron . ..n a adab ... komm ... zum Haus.«
Und dahinter ganz dünn und verschwommen gab es noch eine andere bekannte Stimme. »Tabor!« Das war Leilith! Das Riesenalpweibchen klang freudig erregt und besorgt zugleich, doch ihr Gedankenruf strich vorbei, ohne dass der junge Elf ihn fassen konnte. Erneut glitt er in die Welt der Träume und die säuselnden Stimmen zogen ihn wieder in ihren Bann. Eine dunkle Wolke schob sich an der Sonne vorbei. Es wurde kalt. Tabor spürte, wie ihm etwas in den Mund geschoben wurde, und wehrte sich heftig dagegen. Doch er war zu schwach. Immer wieder streifte sein Bewusstsein die Schwelle des Todes, wo ihm die Stimmen zuraunten, ihnen zu folgen, und die Willensanstrengung, die nötig war, um die Lippen geschlossen zu halten, überstieg fast seine Kräfte. Schließlich gab er die Gegenwehr auf und spürte ein dünnes hartes Plättchen auf der Zunge, das er nicht fortschieben konnte. Es verströmte den herrlichen Duft einer Frühlingswiese und füllte Tabors gemarterte Lungen mit reiner, klarer Luft. Plötzlich wollte er das Plättchen gar nicht mehr loswerden. In der frischen Luft erwachten seine Sinne zu neuem Leben und verdrängten die Stimmen. Jammernd und klagend zogen sie sich zurück in ihre kalte, dunkle Welt, in der es für die Lebenden keinen Platz gab.
Doch die lieblichen Düfte bewirkten noch etwas anderes. Wie ein starkes Rauschmittel benebelten und verwirrten sie Tabors Sinne und machten es ihm unmöglich, Traum und Wirklichkeit voneinander zu unterscheiden.
Er hatte das Gefühl, als setze sich jemand hinter ihn und schlinge ihm die Arme um die Hüften. Er wollte sich umdrehen und sehen, wer der Fremde war, doch seine Kräfte reichten nicht aus, den Kopf zu heben. Tabor seufzte. Eben dem Tod entronnen, fühlte er sich so schwach und matt wie nie zuvor in seinem Leben. Die Gedanken wollten ihm nicht mehr gehorchen und im nächsten Augenblick hatte er auch schon vergessen, woran er soeben gedacht hatte.
Leiliths Körper spannte sich. Die Krallen kratzten über den Fels und sie stieß sich kräftig mit den Beinen ab. Es folgte ein kurzer Sturzflug, mit dem sie die Aufwinde suchte, dann erhob sich der felsengraue Riesenvogel in anmutigen Kreisen in die Lüfte.
Durch halb geöffnete Augen sah Tabor die tief verschneiten Berghänge an sich vorüberziehen, konnte den Bildern und Ereignissen aber keine Bedeutung beimessen. Seine Sinne waren wie vermummt und die Gedanken entschwanden in den dichten Nebeln, die seinen Geist einhüllten, noch bevor er sie greifen konnte. Hin und wieder erblickte er neben sich die Silhouetten anderer Riesenalpe, auf deren Rücken hoch gewachsene, in helle Pelze gekleidete Wesen saßen. Ein anderes Mal streifte der melodische Klang einzelner Worte seine Gedanken: Worte aus der uralten Sprach der Elfen, deren Bedeutung Tabor nicht zu erkennen vermochte. Die Worte kamen und gingen wie zuvor das Wispern der Geisterstimmen, tauchten auf und verschwanden wie die fremden Riesenalpe am Himmel. Sie schienen so wirklich wie der Wind und die schneebedeckten Berge und doch wusste Tabor tief in seinem Innern, dass auch sie nur ein Trugbild sein konnten.
»Außer Leilith und Chantu gibt es keine Riesenalpe mehr.« Nur mit Mühe gelang es Tabor, den simplen Gedanken zu Ende zu führen, ohne ihn zu verlieren. Ihm wurde schwindlig und sein Kopf brummte, als schlügen hunderte winziger Zwerge mit ihren Hämmern darauf ein.
Leilith flog einen Bogen und schwenkte in einen breiten Korridor zwischen zwei steil aufragenden Felswänden ein. Im Schatten der beiden Felsgrate war die Luft bitterkalt und Tabor schmiegte sich tiefer in Leiliths weiches Nackengefieder, um dem beißenden Wind zu entgehen. Im
Weitere Kostenlose Bücher