Die Saga von Thale 02 - Die Macht des Elfenfeuers
dann fuhr sie fort: »Und ich werde sie bestimmt nicht enttäuschen.«
»Wir werden sie nicht enttäuschen.« Tabor sandte ihr einen liebevollen Gedanken. Er konnte sie gut verstehen. Sie war längst nicht so erfahren wie ihre beiden Brüder und nie zuvor oberhalb der Baumgrenze geflogen. Doch Zahir war tot und Chantu hatte sich, wie er von Leilith erfahren hatte, mit Naemy auf den Weg in das Grasland gemacht, um Kiany zu suchen.
Als sie die ersten Ausläufer des Gebirgsmassivs erreichten, begann Leilith zu kreisen. Die Sonne ergoss sich nun auch in die Täler. Ihre Strahlen vertrieben die Kälte der Nacht und erzeugten warme Aufwinde, die an den Berghängen emporstiegen. Mit weit ausgebreiteten Schwingen ließ sieh Leilith von ihnen hinauftragen. So hoch, dass der Yunktun nur noch als glitzernder dünner Faden tief unten zu sehen war.
Tabor vermied es, nach unten zu blicken, und nahm die Halteriemen des ledernen Reitgeschirrs fester in die Hand. Obwohl er schon oft hoch geflogen war und bisher keine Höhenangst gekannt hatte, vermochte er den Schwindel erregenden Anblick des Landes unter sich kaum zu ertragen. Auch die Kälte machte ihm inzwischen zu schaffen. Jetzt war er froh, den dicken Mantel mit der warmen Kapuze und die gefütterten Handschuhe zu tragen, die ihm unten im Tal noch überaus lästig gewesen waren.
»Alles in Ordnung?«, erkundigte sich Leilith besorgt, denn ihr war die Stimmung ihres Reiters nicht entgangen.
»Ja«, antwortete Tabor knapp. Blinzelnd ließ er den Blick über die schneebedeckten Hänge schweifen, die sich sauber und unberührt vor ihm erstreckten. Sein Atem stieg in Form weißer Dampfwölkchen in die frostig klare Morgenluft und gefror an den fellbesetzten Rändern seiner Kapuze zu dünnem Reif.
Plötzlich bemerkte er, dass die Atemzüge seine Lungen nicht mehr ausreichend füllen konnten, und versuchte erschrocken, die Luft schneller einzuziehen. Doch das Gefühl, ersticken zu müssen, wollte nicht weichen und die Atemnot machte ihn schwindlig. »Wie hoch müssen wir noch, Leilith?«, fragte er schnaubend.
»Wir haben es gleich geschafft«, beruhigte sie ihn. »Da vorn sehe ich einen tiefen Einschnitt zwischen zwei Gipfeln. Ich versuche hindurchzufliegen.«
Tabor antwortete nicht. Verbissen kämpfte er mit abertausend schwarzen Punkten, die plötzlich seine Sicht behinderten, während er gleichzeitig zu erkennen versuchte, ob seine kribbelnden, gefühllosen Hände in den dicken Handschuhen noch die Haltegurte umklammerten oder ob sie ihm schon entglitten waren. Verzweifelt um Atem ringend, ließ er sich in Leiliths weiches Nackengefieder sinken, schloss die Augen und betete, das Riesenalpweibchen möge mit dem Luftmangel besser zurechtkommen als er.
Als hätte sie seine Gedanken gelesen, beendete Leilith in diesem Augenblick den Steigflug und ging in ein abwärts geneigtes sanftes Gleiten über. »Du erstickst«, stellte sie besorgt fest und fuhr fort ohne eine Antwort abzuwarten: »Einige hundert Längen voraus gibt es ein Tal mit einem Plateau. Dort versuche ich zu landen. Ich hoffe nur, dass auch ich weit genug hinunterkomme.« Ihre Worte erreichten Tabor an der Schwelle zur Bewusstlosigkeit. Dass er sich überhaupt noch auf Leiliths Rücken halten konnte, hatte er allein seiner Zähigkeit zu verdanken. Zu einer bedachten Handlung war er nicht mehr in der Lage. Wie im Traum spürte er, dass Leilith tiefer ging, fühlte die mächtigen Flügelschläge, mit denen sie den Schwung aus ihrem Flug nahm, und das dumpfe Holpern, als ihre Krallen das Felsplateau berührten. Ein stummer Hilferuf, den sie mittels Gedankensprache aussandte, wisperte durch sein Bewusstsein und er schaffte es sogar noch, sich über diesen sinnlosen Versuch zu wundern: Hier gab es weit und breit niemanden, der ihnen helfen konnte. Dann wurde es dunkel und er spürte nichts mehr.
Im Traum flog er wieder. Immer höher schraubte sich Leilith in die Lüfte und ließ selbst die schneebedeckten Gipfel der Berge weit unter sich. Fedrige Wolken streiften seine Wangen und der Wind strich ihm sanft über das Gesicht. Doch die Luft war schrecklich dünn und das Gefühl, jeden Augenblick ersticken zu müssen, wurde fast übermächtig. Bunte Punkte und blitzende Sterne tanzten vor Labors geschlossenen Augen und immer wieder wich das Bild des sonnenbeschienenen Gebirges einem blutroten Nebel, der im hämmernden Takt seines Herzschlags pulsierte. So ist es also, wenn man stirbt. Der Gedanke kam völlig
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