Die Saga von Thale 02 - Die Macht des Elfenfeuers
beobachtete, wie sich zwischen den Tieren eine breite Gasse auftat, damit die Neuankömmlinge landen konnten. Schon war der vorausfliegende Riesenalp im Schatten der Höhle verschwunden und Leilith setzte zur Landung an.
Als das Riesenalpweibchen wenig später inmitten der vielen Artgenossen stand, überkam Tabor plötzlich das Gefühl, einen verrückten Traum zu erleben. Vielleicht war er am Morgen gar nicht erwacht? Vielleicht hatte ihn die eisige Kälte an die Schwelle des Todes geführt und er lag noch immer in der Schlucht, halb erfroren und in einem irren Traum gefangen? In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Alles war vollkommen verrückt. Aber ob es nun ein Traum war oder nicht, eines wusste Tabor ganz sicher: Was immer geschah, er würde nicht von Leiliths Rücken steigen ! Die Gefahr, von einer der unzähligen Riesenklauen erdrückt zu werden, war einfach zu groß.
Durch den großen Spiegel in der Halle der Träume beobachtete die Gütige Göttin voller Sorge das Heer der Cha-Gurrline. Die Krieger hatten ihr Lager nun schon zum zweiten Mal in den Wäldern südlich des Graslandes aufgeschlagen und kamen auch tagsüber gut vorwärts.
Die Göttin seufzte. Dass sie den Herbst so spät ins Land gelassen hatte, rächte sich nun bitter, denn die für diese Jahreszeit noch ungewöhnlich dicht belaubten Bäume spendeten den Kriegern genügend Schatten und erlaubten es ihnen, den Vormarsch auch im hellen Sonnenlicht fortzusetzen. Selbst jetzt, kurz bevor die Sonne ihren höchsten Stand erreichte, herrschte im Lager eine überaus rege Betriebsamkeit.
Die Göttin seufzte erneut. Sie hatte alles versucht, aber bisher war es ihr nicht gelungen, den Vormarsch des feindlichen Heeres aufzuhalten. Zwar hatte der Steppenbrand Asco-Bahrran gezwungen, die magischen Wolken aufzulösen, und der sinnflutartige Regen hatte die Steppe in eine morastige Landschaft verwandelt, doch das hielt die Krieger nicht auf. Nicht einmal der heftige Südwind und das grelle Sonnenlicht, das die Cha-Gurrline eigentlich nicht vertrugen, konnten etwas zum Schutz des Landes bewirken.
Betrübt schüttelte die Göttin den Kopf. Alle ihre Bemühungen waren höchstens dazu angetan, den Druiden in Nimrod etwas mehr Zeit zu gewähren, damit sie die Verteidigung der Festungsstadt vorbereiten konnten. Doch ernsthaft behindern ließen sich die Krieger damit nicht.
Die Gütige Göttin war sich ihrer Unzulänglichkeiten bewusst, doch als Göttin der Fruchtbarkeit, der Jahreszeiten, der Ernten und als Hüterin des Totenreiches lag es nicht in ihrer Natur, Kriege zu führen. Jetzt gab es nur noch eine Möglichkeit, ihr geliebtes Land zu retten, doch die Entscheidung darüber lag nicht allein bei ihr. Jene, die sie in den Kampf schicken wollte, berieten gerade darüber, ob sie das Wagnis eingehen sollten.
Während sie noch sinnend in den Spiegel blickte, schwebten drei winzige Lichtfunken aus den Gärten des Lebens in die Halle der Träume. Die Göttin sah sie kommen und streckte lächelnd die Hand aus, um ihre kleinen Gäste zu begrüßen. Die Lichter schwebten in ihre Handfläche und ließen sich dort nieder. Eine Weile verhielten sie sich ruhig, dann begannen sie in winzigen Sprüngen auf und ab zu hüpfen, wobei ein leises Klingen die Luft erfüllte. Es war so zart wie ein Nebelschleier und so anrührend melodisch wie eine liebliche Melodie, doch in dem Klingen schwang noch etwas anderes mit: eine Entschlossenheit und Dringlichkeit, die so gar nicht zu den sanften Lichtern passten.
Die Gütige Göttin lauschte aufmerksam. Manchmal hatte es den Anschein, als spräche sie mit den Lichtern, doch außer dem seltsamen Klingen war nichts zu hören. Dann, nach einer Zeit, die im Reich der Göttin keine Bedeutung hatte, verstummte auch der letzte Ton und ein tiefes Schweigen erfüllte die Halle der Träume.
»Ich danke euch « , sagte die Göttin erleichtert und bedachte die Lichtpunkte mit einem schwer zu deutenden Blick. »Ich danke euch und erkenne euren Wunsch, jenen helfen zu wollen, die in Gefahr sind, mit Freuden an. Doch wir müssen vorsichtig sein. Verbitterung und Hass sind nur allzu oft Triebfedern der dunklen Seite. Deshalb wählt gut. Nur jene, die frei sind von dunklen Gefühlen, vermögen die schwere Aufgabe zu meistern.«
Wie zur Antwort ertönte erneut das leise Klingen und die Lichter schwebten hinaus in den Garten, während die Göttin das Bild in dem Spiegel mit einer Handbewegung löschte.
Sie hätte glücklich sein müssen,
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