Die Saga von Thale 02 - Die Macht des Elfenfeuers
erzählt?«, wollte Naemy wissen.
»Ja! «
»Und was hat sie dazu gesagt?« »Dass ich wohl Heimweh hätte!«
»Heimweh! Bei der Göttin! « Naemy schüttelte den Kopf. »Mehr nicht?«
»Nein! Sie meinte, dass die Albträume aufhören würden, wenn ich mich eingelebt hätte.«
»Aber das ist nicht geschehen, oder?«, erkundigte sich Naemy. »Erzähl mir von deinem dritten Traum.«
Kiany zögerte und biss sich auf die Lippen. »Von dem habe ich bisher nur Manou erzählt, weil er so aberwitzig ist und mich ohnehin schon alle für verrückt halten.«
»Und? Erzählst du ihn mir?«, fragte Naemy sanft.
Kiany nickte, doch es dauerte einige Augenblicke, bis sie zu sprechen bereit war. »Da war ein leuchtender Käfer ... «
»Ein Käfer?« Naemy horchte auf. »Was für ein Käfer?«
»So ein großer, wie man ihn manchmal in den unteren Gewölben findet. . . « Kiany zögerte und warf der Nebelelfe einen unsicheren Blick zu. »Jetzt haltet Ihr mich auch für verwirrt, nicht wahr? Ich wusste doch ... «
»O nein « , beeilte sich Naemy zu erklären. »Ganz und gar nicht. Was du gesehen hast, ist sehr bedeutungsvoll. Wirklich! Erzähl mir alles, woran du dich erinnerst. Jede Kleinigkeit.«
»Ist das Euer Ernst?« Kiany runzelte die Stirn. Doch dann zog sie die Schultern hoch und meinte:
»Ach, das ist eigentlich auch gleichgültig. Also gut. Der Käfer kam unter der Tür hindurch. Er leuchtete ganz merkwürdig. Das war gut zu sehen, weil es in dem Raum fast dunkel war. Er kroch geradewegs auf eine große goldene Statue zu . . . «
Als Kiany geendet hatte, brauchte die Nebelelfe eine Weile, um das ganze Ausmaß des Gehörten zu begreifen. Das Mädchen hatte wahrhaftig gesehen, wie die versteinerten Cha-Gurrline befreit wurden, daran gab es keinen Zweifel. Aber warum Kiany? Warum kein anderer der hundert mehr oder weniger talentierten Seher, die nach Auskunft des Abners in Nimrod leben sollten ? Obwohl sie auf diese Frage keine Antwort wusste, war Naemy ganz sicher: Kiany hatte keine Albträume, sondern Visionen.
Wie hatte die Priesterinnenmutter nur so blind sein können ? Allerdings, das musste die Nebelelfe ihr zugute halten, gab es offensichtlich niemanden in Nimrod, der Kianys Visionen teilte. Nicht ein einziges Mitglied der angesehenen Kaste hatte in den vergangenen Mondund Sonnenläufen auch nur die Spur einer drohenden Gefahr gespürt. Nicht einer! Das wiederum bedeutete, dass niemand die Visionen bestätigen konnte. Naemy musste damit rechnen, auf Ablehnung und Unglauben zu stoßen, wenn sie dem Rat der Fünf von ihrer Entdeckung berichtete.
Bei dieser Erkenntnis wuchs das mulmige Gefühl einer drohenden Katastrophe weiter an, das Naemy seit dem Verschwinden des Amuletts wie eine düstere Wolke begleitete. Wer immer einen Schlag gegen das Land plante, ging mit äußerster Sorgfalt vor. Zudem verfügte er über umfangreiche magische Kenntnisse, sonst wäre es ihm kaum möglich gewesen, die Krieger zu befreien und das Amulett zu stehlen, ohne dass es jemand bemerkte.
Asco-Bahrran! Ohne Beweise zu haben, war Naemy sicher, dass der einstige Meistermagier des finsteren Herrschers hinter den schrecklichen Ereignissen steckte. Und eine dunkle Ahnung sagte ihr: Dies war nur der Anfang.
»Was denkt Ihr von mir? « , fragte Kiany ängstlich in das Schweigen hinein.
»Ich nehme die Träume sehr ernst«, erklärte Naemy. Entschlossen erhob sie sich und ging zur Tür.
»Ich halte sie sogar für so wichtig, dass ich sofort mit der Priesterinnenmutter sprechen werde.« Sie griff nach dem Knauf, drehte sich aber noch einmal um und lächelte Kiany zu. »Heute Abend komme ich wieder zu dir, dann reden wir weiter. Aber eines ist jetzt schon sicher: Du wirst auf keinen Fall nach Hause geschickt. Darauf hast du mein Wort.«
Skynom kam nur langsam voran. Sein Pferd lahmte und war zu Tode erschöpft. Ein Wunder, dass es sich überhaupt noch auf den Beinen hielt. Obwohl es ihn nur behinderte, brachte Skynom es einfach nicht fertig, das Tier mitten in der Finstermark seinem Schicksal zu überlassen. Pferde waren im Lager der Cha-Gurrline schon immer rar gewesen, da die Versorgungslage der vielen Krieger mehr als schlecht war und Pferdefleisch als besondere Delikatesse galt. Wenn sich das Angebot an Nahrung inzwischen nicht deutlich verbessert hatte, stand zu befürchten, dass es dort mittlerweile gar keine Pferde mehr gab. Das würde bedeuten, dass Skynom zu Fuß gehen müsste, wenn er sein Pferd verlöre. Ein Gedanke, der
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