Die Saga von Thale 02 - Die Macht des Elfenfeuers
versuchte. Nur langsam begriff er das ganze Ausmaß der Katastrophe, doch anders als seine Mutter verfiel er nicht in dumpfe Trauer. Wut mischte sich mit Verzweiflung und einer tiefen Sorge um jemanden, der ihm sehr viel bedeutete. Entschlossen erhob er sich, trat ans Feuer und fasste seine Mutter bei den Schultern. »Ich fliege sofort nach Caira-Dan « , erklärte er ohne sich seine Unruhe anmerken zu lassen. »Die Überlebenden brauchen Hilfe.«
»Quarline hinterlassen keine Überlebenden«, flüsterte Naemy. Sie hob den Blick und zum ersten Mal in seinem Leben sah Tabor seine Mutter weinen.
»Ich fliege trotzdem! « Tabors Umhang bauschte sich, als er sich umwandte und mit großen Schritten auf Leilith zustapfte.
»Warte! « Naemy sprang auf und packte Tabor an der Schulter, um ihn zum Innehalten zu bewegen. »Warte!«, sagte sie etwas sanfter, die Schulter noch immer fest im Griff. »Du darfst nicht unüberlegt handeln. Die Quarline sind wahrscheinlich noch immer in Caira-Dan. Wir müssen . . . «
»Lass mich, Mutter! « Argerlich steifte Tabor die Hand von der Schulter und sah Naemy in die Augen. In seinem Blick wechselten in rascher Folge Sorge und Trauer mit Wut und Entschlossenheit. Ein deutliches Zeichen dafür, wie aufgewühlt er war. »Ich werde fliegen, Mutter«, betonte er noch einmal. »Du kannst mich nicht aufhalten. Ich muss es mit eigenen Augen sehen. Und ich schwöre dir, ich werde jeden Quarlin töten, der mir begegnet.« Mit diesen Worten schulterte er seinen Langbogen, den er an einen Baum gelehnt hatte, griff nach dem Köcher mit den Pfeilen und vergewisserte sich mit einem kurzen Griff an den Gürtel, dass er auch das Kurzschwert bei sich trug. Ohne sich noch einmal umzublicken, bestieg er Leiliths Rücken und lenkte das Riesenalpweibchen auf einen nahen Hügel, von dem aus es aufsteigen konnte.
»Tabor, sei vernünftig!«, rief ihm Naemy in Gedanken nach, doch der junge Elf hatte seinen Geist für Botschaften verschlossen und antwortete ihr nicht. »Bei den Toren!« Wütend hob Naemy einen Stock vom Boden auf und schleuderte ihn in den Wald. Dennoch konnte sie Tabors Entschluss gut verstehen. Auch in ihr schrie alles danach, nach Caira-Dan zu fliegen und nach Überlebenden zu suchen. Wäre sie allein gewesen, hätte sie Tabor begleitet, aber sie hatte die Verantwortung für das schlafende Mädchen übernommen und konnte nicht frei handeln.
Er ist wie ich in jungen Jahren, dachte sie. Ungestüm und mutig und wie ich muss auch er noch lernen, dass einen nicht allein die Gefühle leiten dürfen. Naemy konnte nur hoffen, dass Tabor vernünftig genug war, sich auf keinen Kampf mit einem Quarlin einzulassen. Ein einzelner Elf, selbst wenn er bewaffnet war, stellte für die großen Raubkatzen eine leichte Beute dar. Erschauernd erinnerte sich Naemy an den Kampf mit dem Quarlin, der ihr vor mehr als zweihundert Sommern in der Zwischenwelt aufgelauert hatte und dem sie nur durch eine List entkommen war. Die tiefen Wunden, die sie bei dem Kampf davongetragen hatte, waren vernarbt, verursachten ihr aber auch heute noch Schmerzen. Wenn Tabor nicht. . .
»Chantu sagt, er habe Lya-Numi in den Wäldern entdeckt«, meldete sich Zahir in ihre Gedanken hinein. Lya-Numi? Naemy horchte auf. Energisch schob sie die trüben Erinnerungen zur Seite und versuchte Chantu selbst zu erreichen.
»Chantu! « , rief sie in Gedanken.
»Naemy? . . . Naemy, ich brauche . . . brauche deine Hilfe! « Der Riesenalp klang erschöpft und seine Stimme drang nur schwach und undeutlich durch die Sphäre. »Lya-Numi ist verletzt... Sie braucht.. . Hilfe ... ein Quarlin . .. angegriffen. Ich . .. Quarlin getötet.. . kann nicht landen . .. «
»Wo ist sie?«, fragte Naemy erregt. Die unglaubliche Nachricht, dass die Elfenpriesterin noch lebte, ließ sie für einen Augenblick alle Trauer vergessen. Chantu übermittelte ihr ein Bild der Lichtung, auf der er Lya-Numi entdeckt hatte. Es war verschwommen und flackerte, genügte jedoch, damit Naemy erkannte, wo sich die Elfenpriesterin befand. Die Lichtung lag nicht weit von Caira-Dan entfernt auf dem Weg zu jenem Platz, wo Tabor und sie die ersten Flugübungen mit den Riesenalpen gemacht hatten. »Ich kenne die Stelle « , teilte sie Chantu mit, » und ich mache mich sofort auf den Weg.«
»Danke!« Chantu klang erleichtert. Naemy hörte noch, wie er etwas von Ruhe und Erschöpfung sagte, dann brach die Verbindung ab.
»Müssen wir aufsteigen?«, wollte Zahir wissen.
»Ich weiß
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