Die Saga von Thale 03 - Die Hüterin des Elfenfeuers
das Gute in deinem Ansinnen gesucht, doch alles, was ich finde, ist hartherzige Selbstherrlichkeit. Und damit nicht genug. Wie selbstverständlich verlangst du von uns, dass wir uns deinen Zielen bedingungslos unterordnen. Aber ich kann das nicht. Ich will das nicht. Ich will, dass unsere Brüder und Schwestern gerettet werden. Ich habe schon viel zu lange geschwiegen, habe zugelassen, dass die stolzesten und tapfersten Angehörigen unseres Volkes ins offene Messer laufen, und damit eine große Schuld auf mich geladen. Ich weiß nicht, ob ich mir diese Tatenlosigkeit jemals verzeihen kann. Aber ich weiß, dass es mir das Herz brechen wird, auch die Kinder ihrem Schicksal zu überlassen.« Sie schnaubte vor Wut und hob die Hände zu einer anklagenden Geste. »Aber warum erzähle ich dir das überhaupt? Es kümmert dich nicht, was ich fühle. Für dich zählt allein diese Aufgabe. Hast du denn kein Herz mehr? Fühlst du denn gar nichts? Weißt du noch, was du im Grasland zu mir sagtest? Wir sind Schatten, die durch dieses Land streifen. Aber das stimmt nicht. Ich bin kein Schatten! Ich fühle den Schmerz und trauere um unser Volk, und ich ertrage es nicht, ihm die Hilfe zu verweigern. Aber wer weiß, vielleicht bist du ja ein Schatten. Was ist in den vielen Sommern mit dir geschehen, dass du so kaltblütig handeln kannst? Du benimmst dich wie . . . wie ein . . . ein ...« , sie suchte Hände ringend nach den richtigen Worten, »ein seelenloses Monstrum! Du bist nicht mehr meine Schwester. Ich ... ich ... hasse dich!!« Sie schlug die Hände vors Gesicht und stürmte schluchzend davon, ehe Naemy etwas erwidern konnte.
Auf ihre Worte folgte betroffenes Schweigen. Nur das Plätschern des Baches und der Ruf eines einsamen Käuzchens durchschnitten die lastende Stille. Naemy war zutiefst bestürzt. Als sie einen kurzen Blick auf Glamouron warf, bemerkte sie, dass er sie nachdenklich betrachtete.
»Denkst du wie sie?«, fragte sie leise.
»Shari ist noch jung«, erwiderte Glamouron ausweichend. »Wenn sie älter ist, wird sie es verstehen.« »Aber wird sie mir auch verzeihen?«
»Wer kann schon in die Seele einer Nebelelfe blicken.« Glamouron zog bedauernd die Schultern in die Höhe. »Und du?«
»Ich habe dich geliebt und liebe dich noch immer.« Seine Augen suchten die ihren, und was sie darin fand, verscheuchte für einen Augenblick allen Kummer. »Es tröstet mich zu wissen, dass dir da unten«, er deutete in Richtung der Festungsstadt, »nichts geschehen ist. Wäre dein Schicksal ungewiss, würde ich vermutlich wie Shari denken. Wenn du es genau wissen willst: Ich empfinde große Hochachtung für deinen Mut, eine solche Zeitreise zu wagen - aber mutig warst du ja schon immer.« Er erhob sich lächelnd, kam auf sie zu und schloss sie in die Arme. »Das heißt nicht, dass ich nicht um die vielen sinnlosen Opfer, Nebelelfen, Riesenalpe und Menschen trauere und mir große Sorgen um Letivahr mache. Doch ich kann auch verstehen, in welch schwieriger Lage du dich befindest. Dir wurden Grenzen gesetzt, die nicht überschritten werden dürfen. Du kannst nicht anders handeln. Du bist nur eine Figur, nicht der Spieler. Ich mache dir keine Vorwürfe.«
»Danke!« Naemy schloss die Augen und lehnte sich an Glamourons Schulter. Wie lange hatte sie sich danach gesehnt? Wie oft hatte sie sich in den langen, einsamen Nächten dieses Gefühls erinnert, voller Wehmut und der Gewissheit, es nie wieder zu spüren? Und jetzt? Die Göttin hatte ihr nicht nur ihre Schwester zurückgegeben, sondern auch den so schmerzlich vermissten Gefährten. Beide galt es wie Schätze zu hüten, um sie nicht noch einmal zu verlieren, doch Sharis Verhalten machte es ihr schwer, die alte innige Vertrautheit wieder aufzubauen.
»Du musst ihr mehr Zeit geben!« Glamourons Atem streifte Naemys Wange, und sie fühlte sich ihm so nah wie schon lange nicht mehr. »Irgendwann wird auch sie verstehen, dass der vorgezeichnete Weg des Schicksals nicht verändert werden darf.«
»Aber sie ist so aufgebracht«, erwiderte Naemy. »Ich spüre, wie sehr es sie drängt, etwas zu unternehmen, und das macht mir große Sorgen.«
»Dann gib ihr die Möglichkeit, etwas für ihren Seelenfrieden zu tun, und nimm sie mit, wenn du durch die Zwischenwelt nach Nimrod reist.«
»Ausgeschlossen. Das kann ich nicht.« Naemy wusste, dass Glamouron Recht hatte, war jedoch nicht bereit, das Wagnis einzugehen. »Wenn mein Plan gelingt und ich tatsächlich die Höhle finde, in der
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