Die Saga von Thale 03 - Die Hüterin des Elfenfeuers
er kopfschüttelnd. »Wie willst du die Gefangenen finden, und wie willst du es schaffen, so viele unbemerkt zu befreien?«
»Ich reise durch die Zwischenwelt.« Naemys Stimme klang zuversichtlich, obwohl auch sie berechtigte Zweifel daran hatte, dass es ihr gelingen würde, so viele ihrer Brüder und Schwestern auf diesem Weg zu befreien.
»Aber dazu musst du wissen, wo man die Überlebenden unseres Volkes gefangen hält«, gab Glamouron zu bedenken und fragte: »Weißt du das?«
»Ich glaube es zu wissen«, erwiderte Naemy mit fester Stimme. »Wenn die Berichte stimmen, die mir zugetragen wurden, hält man sie in einem großen Gewölbe tief unter der Festungsstadt gefangen. Der Boden besteht aus nacktem Fels, und man hat ihnen die Hände und Füße gebunden, damit sie kein Pentagramm zeichnen und fliehen können.«
»Das mag sein.« Glamouron runzelte die Stirn. »Aber warum hören wir dann nichts von ihnen?
Jeder Nebelelf würde in einer solchen Lage mittels Gedankensprache um Hilfe rufen und . . . «
»Wann hast du das letzte Mal etwas von Letivahr gehört?« Naemy unterbrach ihn mit einer Gegenfrage.
»Kurz bevor die schwarze Flagge über Nimrod gehisst wurde«, gab Glamouron zur Antwort. »Er war mit Rurik in den Höhlen der Kuriervögel und erklärte ihm gerade, dass er sich kräftig genug fühle, um einen Flugversuch zu wagen.« Ein Anflug von Trauer mischte sich in die Stimme des Elfen. »Dann brach die Verbindung ab. Ich wage nicht daran zu denken, was es bedeuten mag.« Er schloss die Augen und schüttelte betrübt den Kopf.
»Es bedeutet, dass An-Rukhbar ganz Nimrod mit einem magischen Mantel bedeckt hat«, erklärte Naemy ernst. »Wie ihr wisst, sind alle Nebelelfen, die zu alt oder zu jung sind, um zu kämpfen, in den Sümpfen von Numark geblieben. Mit der Magie nimmt der finstere Herrscher den Nebelelfen nun die Möglichkeit, sich mittels Gedankensprache zu verständigen, und verhindert, dass sie die Zurückgebliebenen warnen. Schon jetzt sind Teile der Truppen unterwegs, um die letzten freien Nebelelfen gefangen zu nehmen und sie nach Nimrod zu bringen, wo sie das ungewisse Schicksal der gefangenen Krieger teilen werden.«
»Aber das sind doch noch Kinder«, rief Shari entsetzt aus. »Bla-thin, Saidhbh, Triona und all die anderen, die nicht einmal zwanzig Sommer gesehen haben . . . Sie können doch nicht. . . Das ist grausam. Das dürfen wir auf keinen Fall zulassen! Bitte, Naemy, sag, dass es nicht wahr ist! Ist es nicht genug, was die Elfenkrieger erleiden? Wenn die Kinder jetzt auch in Gefahr sind, müssen wir sie warnen!«
»Ich weiß, dass es grausam ist.« Naemy nickte. »Auch ich habe damals versucht, nach Numark zu gelangen, um die Kinder zu retten. Doch ich kam zu spät. Bei den Toren, ich war nicht schnell genug. Ich weiß, was die Truppen der Cha-Gurrlinen unserem Volk antaten. Ich habe die zerstörten Häuser gesehen, die verwüsteten Sümpfe . . . « Sie machte eine Pause, um dem Ansturm der Gefühle nicht zu erliegen, die sie zu überwältigen drohten. » . . . und ich habe die entsetzlich zugerichteten Körper jener mit eigenen Händen begraben, die sich den Cha-Gurrlinen mit dem Mut der Verzweiflung in den Weg stellten.«
»Dann müssen wir sofort aufbrechen!« Shari sprang auf. »Wenn wir durch die Zwischenwelt
reisen, sind wir noch vor den Cha-Gurrlinen da und können die Kinder...«
»Nein!« Naemy schüttelte den Kopf. »Das Wagnis, durch die Zwischenwelt zu reisen, werde ich nur ein einziges Mal in Kauf nehmen, und zwar, um die Gefangenen - zumindest einige - aus Nimrod zu befreien. Dafür und nur dafür werde ich diesen Weg gehen.«
»Aber die Kinder!« Fassungslos starrte Shari ihre Schwester an. »Du hast doch selbst gesehen, wie furchtbar es ihnen ergehen wird.« Sie ballte die Fäuste und zog so wütend die Luft ein, als könnte sie sich kaum mehr beherrschen. »Du bist nicht mehr die Schwester, die ich in Numark zurückließ«, stieß sie voller Zorn hervor. »Du . . . du bist grausam und herzlos geworden und denkst nur an diese verdammte Aufgabe. Warum sagst du es nicht: Es ist dir völlig gleichgültig, was mit unserem Volk geschieht. Du könntest so viel Gutes tun, so viel Schreckliches verhindern. Aber du willst es nicht. Verweigerst denen, die du retten könntest, kaltblütig jede Hilfe.« Sie machte einen Schritt auf Naemy zu und blickte sie wutentbrannt an. »Wie kann man nur so ohne Mitleid sein? Ich habe lange versucht, dich zu verstehen. Ich habe
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