Die Saga von Thale 03 - Die Hüterin des Elfenfeuers
dem Mädchen das Amulett geschenkt hatte, stand erhobenen Hauptes inmitten des Lichts und blickte auf eine in lange dunkelblaue Gewänder gehüllte Gestalt, die vor ihr auf einem wuchtigen, thronähnlichen Stuhl saß. Bosheit und Hass umgaben die Gestalt, von der weder Gliedmaßen noch Gesicht zu erkennen waren, wie eine greifbare Aura, und der Träumer erzitterte. Das Gefühl, die Frau warnen zu müssen, wurde so unerträglich, dass er ihr zurufen wollte, sie möge fliehen. Doch sosehr er sich auch bemühte, ihm drang kein Laut über die Lippen. Mit klopfendem Herzen beobachtete er, wie die Frau der finsteren Gestalt einen ebenholzfarhenen Stab reichte. Das obere Ende zierte eine kunstvoll gearbeitete und mit fremdartigen Schriftzeichen versehene silberne Hülle, die von einer goldenen Sonnenscheibe gekrönt wurde, a u f der sich eine symbolische Nachbildung der Zwillingsmonde To und Yu befand. Sie zeigte die ebenmäßigen Körper der Monde, die sich unter einem sternenübersäten Himmel küssten. Der Stab der Weisheit!
»Nein!« Im Traum schrie Anthork entsetzt auf. Verzweifelt versuchte er der Frau mitzuteilen, dass sie im Begriff sei, einen großen Fehler zu begehen, doch der Aufschrei verhallte ungehört. In ohnmächtigem Entsetzen musste er mit ansehen, wie der Stab in den Besitz der finsteren Kreatur gelangte.
Die Frau wandte sich um und wollte das Zelt verlassen, doch auf einen Wink des Dunkelgewandeten hin versperrten ihr zwei Cha-Gurrlinen den Weg, und ein hässliches, schadenfrohes Lachen hallte durch den Traum.
Ein letztes Mal wechselte das Bild.
Diesmal befand sich die Frau als Gefangene inmitten einer gewaltigen Kugel, deren phosphoreszierendes Leuchten die Nacht auf einer abgeschiedenen Lichtung erhellte. Doch sie war nicht allein. Eine dunkelhaarige Frau befand sich bei ihr, deren Haltung von tiefem Kummer und Verzweiflung zeugte.
Der Blaugewandete war ebenfalls anwesend. Er stand vor der Kugel, die Arme beschwörend erhoben, und rezitierte einen mächtigen Bannspruch. Aus den Fingerspitzen glitten knisternde Blitze schlangengleich über die äußere Hülle der Kugel und trübten sie, bis die beiden Frauen, die darin gefangen saßen, nicht mehr zu sehen waren. Dann erloschen die züngelnden Lichtstreifen, und der Blau-gewandete hob die Arme zu einer letzten mächtigen Beschwörung. Die Sprache war dem Druiden fremd, doch er fühlte die Macht, die darin verborgen war, und Angst schnürte ihm die Kehle zu. Er ahnte, dass ihm hier nur die Rolle des Zuschauers zuteil wurde, und schämte sich für seine Unfähigkeit.
Starr vor Entsetzen musste er mit ansehen, wie sich die Kugel über die Lichtung erhob und auf einen gleißenden Streifen zuschwebte, der den Nachthimmel wie ein feuriger Riss spaltete. Wenig später öffnete er sich wie ein gewaltiges brennendes Maul, und die Kugel verschwand in der lichtlosen Düsternis des gewaltigen Schlunds.
»Nein!« Erschüttert ließ Anthork den Tränen freien Lauf. Ihm war, als stürzte er in eine bodenlose Schwärze, in der es weder eine Zukunft noch Hoffnung gab. Er hatte alles verloren, nicht nur seine Heimat und unzählige Freunde . . . Jetzt hatte er nicht einmal mehr einen Glauben, der ihm Halt und Trost in düsteren Zeiten spenden würde - Thale war verloren.
Da ertönte in dem Traum wie aus weiter Ferne eine schwache, liebliche Stimme und rief ihm zu: »Sei getreu und warte! In zehn Sommern, wenn To und Yu sich verdunkeln, wird einer das Licht der Welt erblicken, der das Mal der Monde tragen und die unschuldigen Menschenleben rächen wird . . . unschuldigen Menschenleben rächen wird .. . rächen wird .. . wird . .. wird ...«
Der Ruf wurde immer schwächer und verhallte in der Dunkelheit, doch die wenigen Worte gaben dem Träumer neuen Mut. Wo ein Ende war, würde es auch wieder einen Anfang gehen. In zehn Sommern . . . Die Menschen mussten es erfahren, mussten wissen, dass es Hoffnung gab. In zehn Sommern. . . Anthork lächelte und glitt in einen tiefen, traumlosen Schlaf. . .
»Was haben sie mit uns vor?« Ängstlich klammerte sich Maite an ihre große Schwester, während sie inmitten einer Gruppe Gefangener aus dem Lager in die Festungsstadt geführt wurden.
»Ich weiß es nicht.« Paira drückte Maite tröstend an sich. Auch sie hatte große Furcht. Die Art, in der Okowan sich ausgedrückt hatte, verhieß nichts Gutes, und obwohl sie erleichtert war, dem schändlichen und erniedrigenden Dasein im Haus der Sinne entgangen zu sein, spürte
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