Die Saga von Thale 03 - Die Hüterin des Elfenfeuers
sie, dass das Schicksal ihr eine ähnlich schreckliche Zukunft zugedacht hatte. Ihr, Maite und all den anderen, die den Cha-Gurrlinen schweigend und demütig wie eine Herde Schlachtvieh hinter die großen Mauern folgten.
Wie eine Herde Schlachtvieh ... Paira war überrascht, wie passend der Vergleich war. Die Art und Weise, wie die Gefangenen zwischen den schwarzen Kriegern dahintrotteten, ähnelte tatsächlich in unheilvoller Weise dem Anblick der verängstigten Ziegen, Schafe und Rinder, welche die Bauern Thaies zweimal im Jahr nach Nimrod trieben, um sie vor den Toren der Stadt auf einem großen Viehmarkt zu verkaufen. Und wie die Viehtreiber, die die ausgebrochenen Tiere mit Peitschen- und Stockhieben in die Herde zurückscheuchten, schlugen auch die Cha-Gurrlinen gnadenlos auf alle ein, die zu langsam waren oder versuchten, dem Tross zu entkommen.
Paira hob den Blick und schaute sich um. Die Gruppe bestand fast ausschließlich aus Müttern, die ein oder zwei verängstigte Kinder auf dem Arm trugen oder an den Händen hielten. Viele der kleineren Kinder weinten und klammerten sich Hilfe suchend an die Frauen, während sich die Größeren stumm mit angstgeweiteten Augen umschauten und nicht von der Seite ihrer Mütter wichen. Nirgends konnte Paira einen Krieger entdecken, und es befanden sich auch keine Alten in der Gruppe.
Auserwählt. Unvermittelt gewann das Wort, das Okowan gebraucht hatte, an Bedeutung, und die dumpfe Vorahnung, dass etwas Schreckliches mit ihnen geschehen würde, schnürte Paira die Kehle zu.
»Was ist mit dir?« Maite bemerkte, wie Pairas Körper sich versteifte, und sah ihre Schwester besorgt an.
»Es geht schon wieder«, log Paira und zwang sich zu einem gelassenen Tonfall. »Ich bin nur müde.« Liebevoll strich sie Maite über das Haar.
Ich muss jetzt stark sein, ermahnte sie sich. Maite hat schon so viel Schreckliches gesehen und furchtbare Angst. Mutter und Bevan sind tot. Ich bin alles, was sie noch hat. Versprich mir, dass du nicht von ihrer Seite weichen wirst, hörte sie die Mutter in Gedanken sagen. Was auch geschieht, ihr bleibt zusammen! Versprich es mir, im Namen der Göttin!
»Ich verspreche es!«, murmelte Paira noch einmal und straffte sich.
»Wie?« Maite hatte die Worte gehört und schaute sie jetzt verwundert an.
»Nichts.« Paira zwang sich zu einem Lächeln. »Ich habe nur laut gedacht.«
In diesem Augenblick wurden sie durch das gähnende Loch in der Festungsmauer getrieben, wo sich zuvor das große zweiflügelige Tor Nimrods befunden hatte. Dahinter mischten sich die verkohlten Holzbalken mit den Gesteinstrümmern, welche die Steinschleudern aus der Festungsmauer gesprengt hatten, und den Überresten der zerstörten Häuser; die Trümmer bedeckten den Boden, so weit das Auge reichte. Viele Gebäude waren bis auf die Grundmauern niedergebrannt, und ein durchdringender Geruch nach Asche und schwelendem Holz hing bleiern in der windstillen Luft. Doch die Zerstörung war nicht der schlimmste Anblick, der sich den Gefangenen offenbarte. Viel entsetzlicher waren die unzähligen, oft bis zur Unkenntlichkeit verstümmelten Leichen, die sich auf und unter den Trümmern befanden und deren Blut schon jetzt Tausende schwarzer Fliegen anzog. Die leblosen Körper der Elfen und Menschen lagen wie zerbrochene, achtlos fortgeworfene Puppen herum, die Augen blicklos geöffnet und in Todesfurcht erstarrt.
Maite nahm der grausige Anblick so gefangen, dass sie nicht ansprechbar war. Unfähig, den Blick abzuwenden, starrte sie erschüttert auf die unzähligen Leichen und wehrte sich heftig gegen Paira, welche die Augen ihrer Schwester mit der Hand zu beschirmen versuchte, um ihre junge Seele vor weiterem Schaden zu bewahren. Unversehens trat Maite mit dem Fuß auf das Bein eines toten Elfen, dessen Oberkörper fast gänzlich unter schweren Gesteinsbrocken begraben war, worauf sich eine Wolke aus Fliegen summend über dem blutverschmierten Leichnam erhob. Das kleine Mädchen stieß einen entsetzten Schrei aus und barg das Gesicht in Pairas Gewand, doch es gab keine Möglichkeit, dem Grauen zu entkommen. Die Cha-Gurrlinen trieben sie unbarmherzig über die Toten und Verwundeten hinweg, und mehrmals gelang es Paira nur mit enormer Willensanstrengung, die aufkommende Übelkeit zu unterdrücken.
Jetzt, da es hell war, enthüllte die Sonne schonungslos, was die Dunkelheit auf dem Weg in das Gefangenenlager gnädig vor ihren Augen verborgen hatte. Der Anblick war mehr, als ein Mensch
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