Die Saga von Thale 03 - Die Hüterin des Elfenfeuers
als fürchtete sie, jedes zu laut gesprochene Wort könne die Gestalt an ihrer Seite verschwinden lassen.
»Ja ...« Naemys Augen füllten sich mit Tränen. »Ja, ich bin es, kleine Schwester. Ich bin gekommen, um dir zu helfen und dich zu beschützen.« Sie schluckte schwer, schlang die Arme um Sharis Schultern und presste die geliebte Schwester an sich. »Vergib mir«, bat sie unter Tränen.
»Ich hätte dich niemals allein ins Grasland gehen lassen dürfen. Aber wir konnten damals ja nicht wissen, welches Unheil sich in der Finstermark zusammenbraute. Niemand wusste das.« Sie verstummte, wischte die Tränen fort und sah ihre Schwester ernst an. »Aber genug davon. Das Einzige, was zählt, ist, dass wir wieder zusammen sind. Nach all den Jahren . . .
O Shari, ich habe mir solche Vorwürfe gemacht und bin so glücklich, dass. . . «
»Wovon redest du?« Shari blinzelte verwirrt. »Damals ... nach all den Jahren? Ich bin doch gerade erst einen Mondlauf aus Numark fort.«
»Entschuldige. Ich wollte dich nicht verwirren.« Naemy machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach Shari, es gibt so vieles, was ich dir erzählen muss. Aber nicht hier.« Sie deutete mit einem Kopfnicken zum Heerlager und dem schwarzen Krieger, der sich stöhnend bewegte. »Der Cha-Gurrlin wird bald erwachen«, flüsterte sie und rieb sich mit schmerzverzerrter Miene die rechte Hand. »Diese Burschen sind verdammt zäh. Ich fürchtete schon, mein Kre-An-Sor-Hieb könne ihm nichts anhaben.«
»Dann ist er gar nicht tot?«, fragte Shari mit einem besorgten Seitenblick auf den massigen Körper des Kriegers. Der Gedanke, dass er sich schon bald wieder erheben und sie verfolgen könnte, jagte ihr einen eisigen Schauer über den Rücken.
»Nein, er schläft nur.«
»Aber er wollte mich umbringen!«
»Ja, das wollte er.« Naemy lächelte gequält. »Und glaube mir, könnte ich frei entscheiden, so hätte ich nicht gezögert, ihn zu töten. Doch mir sind die Hände gebunden. Der Krieger muss leben.« Ein Schatten huschte über ihr Gesicht, während sie einen tiefen Atemzug tat und kaum hörbar hinzufügte: »Er muss leben, selbst wenn durch seine Hand viele Freunde ihr Leben verlieren werden.«
»Du meinst, all diese Krieger werden Thale angreifen?«, fragte Shari entsetzt.
»Ja, das werden sie«, erwiderte Naemy betrübt. »Das und noch viel mehr. Aber davon werde ich dir...«
»Dann müssen wir sofort zurück und unser Volk warnen!« Plötzlich hatte es Shari sehr eilig.
»Wenn wir uns beeilen, können Nebelelfen und Menschen sich auf den Angriff vorbereiten und sich einen Plan zur Verteidigung überlegen. Los, wir dürfen keine Zeit verlieren.« Sie wollte aufspringen, aber Naemy hielt sie zurück. »Shari, so warte. Das können wir nicht«, sagte sie tonlos.
»Können wir nicht? Was soll das heißen?«, fragte Shari verwirrt. »Natürlich können wir. Wenn du uns ein Pentagramm zeichnest, sind wir bald in Numark, um dem Elfenkönig von unserer Entdeckung zu berichten. Wir müssen . . . «
»Zunächst einmal müssen wir schleunigst von hier verschwinden«, beendete Naemy den Satz für ihre Schwester. »Sobald wir einen sicheren Ort gefunden haben, werde ich dir alles erklären.« Sie erhob sich, warf einen prüfenden Blick auf den besinnungslosen Cha-Gurrlin und reichte ihrer Schwester die Hand. »Komm mit«, sagte sie leise. »Je schneller wir hier weg sind, desto besser.« Bald nachdem Paira aus dem »Sumpf« zurückgekehrt war, klopfte es an der Tür des Hauses, in dem sie mit ihrer Mutter und den beiden Geschwistern lebte. Maite, mit sechs Sommern das Nesthäkchen der Familie, stürmte zur Tür, doch Paira war schneller. Mit den Worten »Das ist für mich!« schob sie die Schwester beiseite, worauf sich die Kleine maulend in die Küche verzog. Paira sah ihr kopfschüttelnd nach, sagte aber nichts. Sie war froh, dass Fedeon so pünktlich war. Obwohl sie es nach außen nicht zeigte, war sie von den Vorfällen des Abends immer noch sehr aufgewühlt. Das unerfreuliche Zusammentreffen mit dem Sohn des Freudenhausbesitzers und vor allem das Schicksal des rothaarigen Jungen gingen ihr nicht aus dem Kopf, und es drängte sie, endlich mit jemandem darüber zu reden. Doch als sie die Tür öffnete und Fedeon stürmisch begrüßte, fühlte sie, dass auch er ihr etwas zu sagen hatte. Seine Haltung zeugte von einer Anspannung, die sie nie zuvor bei ihm gespürt hatte, und obwohl er sie herzlich umarmte, lag ein dunkler Schatten über seinem
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