Die Saga von Thale 03 - Die Hüterin des Elfenfeuers
schön zu sehen, dass es noch Mädchen in Nimrod gibt, die wissen, was sich gehört«, säuselte er grinsend, drehte sich um und rief mit herrischer Stimme in Richtung der geöffneten Tür: »Miro, bei den Toren, wo steckst du? Hier gibt es Arbeit für dich.«
So schnell, als hätte er hinter der Tür gewartet, kam der rothaarige Junge, den Paira schon auf dem Markt gesehen hatte, aus dem Haus gehuscht. »Ich ... Ich k.. . k . . . komme schon, M... M.. . Meister«, stammelte er, den Blick so fest auf den Boden geheftet, als gäbe es dort etwas Wichtiges zu sehen. Er humpelte, und obwohl er den Kopf gesenkt hielt, konnte Paira erkennen, dass seine rechte Gesichtshälfte bläulich verfärbt und geschwollen war.
»Beeil dich, ich hab nicht ewig Zeit«, raunzte der Dicke unwirsch. »Los, nimm dem Mädchen den Korb ab und sieh zu, dass du wieder in die Küche kommst.« Um seine Worte zu unterstreichen, versetzte er dem Jungen einen so heftigen Tritt, dass dieser stürzte und mit dem Kopf hart auf das Pflaster schlug. Wimmernd krümmte er sich am Boden zusammen, doch das scherte den Dicken nicht. Mit den Worten »Aufstehen, sonst setzt es was« stieß er den Jungen rücksichtslos mit dem Stiefel an. Der Knabe heulte vor Schmerzen auf und rollte ein Stück über den Boden, wo er für ein paar Herzschläge reglos liegen blieb. Als er schließlich aufblickte, blutete seine Nase so stark, dass sich auf dem Boden bereits eine kleine Lache gebildet hatte. Hände, Mund und Wangen waren blutverschmiert, doch der Junge war so verängstigt, dass er nicht darauf achtete. In blinder Furcht rappelte er sich auf, taumelte auf Paira zu, riss ihr den Korb aus den Händen und humpelte, so schnell er konnte, zum Haus zurück.
»Was seid Ihr nur für ein Unmensch!« Paira war wegen der grausamen Behandlung des Jungen außer sich vor Wut. Die Not und das Elend des Knabens empörten sie so sehr, dass sie die eigenen Ängste völlig vergaß. »Wieso misshandelt Ihr den Jungen? Er hat Euch doch nichts getan.«
»Nichts getan?« Der Dicke kam näher und spuckte auf die Straße. »Was weiß du schon, Mädchen«, sagte er von oben herab. »Er ist schuld daran, dass die beste Hure im Haus meines Vaters starb. Und du sagst, er hätte nichts getan? Seine Mutter war die hübscheste Frau in Nimrod. Eine wahre Goldgrube, deren Künste uns noch viele Jahre ein hübsches Sümmchen eingebracht hätten, wenn sie nicht bei der Geburt dieses Bastards gestorben wäre. Dafür hätte er den Tod verdient gehabt, doch mein Vater hat ein gutes Herz; er ließ ihn am Leben, damit er seine Schuld abarbeiten kann.«
»Aber er kann doch nichts dafür, dass seine Mutter gestorben ist«, rief Paira entrüstet. »Er ist noch ein Kind, und Ihr behandelt ihn wie ein Stück Dreck.«
»Wir behandeln ihn so, wie er es verdient hat.« Der Dicke stand nun unmittelbar vor Paira, die ihn zornig anfunkelte. »Und ich rate dir dringend, dich nicht einzumischen«, zischte er drohend, hob die Hand und deutete zum Haus der Sinne hinüber. »Was hinter dieser Tür geschieht, geht niemanden etwas an, verstanden? Dort gelten allein die Gesetze meines Vaters.« Seine Hand schoss vor und packte Paira am Kinn. »Ist das klar?«
Der Moschusgeruch, der von der Kleidung des Dicken ausging, ließ Paira schwindeln. Angewidert schlug sie die Hand fort und wich zwei Schritte zurück. »Nie zuvor habe ich jemanden getroffen, der so widerlich und barbarisch ist«, stieß sie atemlos hervor. »Ich verabscheue Euch!«
»Tu, was du für richtig hältst.« Der Dicke winkte geringschätzig ab. »Es schert mich nicht, was andere von mir denken. Verschwinde! Ich habe Wichtigeres zu tun, als meine kostbare Zeit an eine einfältige Marktfrau zu verschwenden.« Das Wort »Marktfrau« betonte er dabei so abfällig, als wäre es ein Schimpfwort. »Und hüte deine Zunge. Mein Vater ist sehr einflussreich. Schon so manches anmaßende Mädchen ist am Ende zu uns gekommen, weil es für seine urplötzlich verarmte Familie den Lebensunterhalt verdienen musste.« Er grinste breit. »Du bist sehr hübsch«, murmelte er. »Wer weiß, was die Zukunft noch bringt.«
»Ich würde lieber sterben, als hier mein Geld zu verdienen«, sagte Paira, hob stolz den Kopf und wandte sich um. »Dies war das erste und letzte Mal, dass ich an diesen abscheulichen Ort gekommen bin. Verlasst Euch darauf.«
Düsternis hüllte die Welt ein wie ein dunkler Mantel, als Shari erwachte. Der grelle Blitz, der vom Himmel mitten in das
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