Die Saga von Thale 03 - Die Hüterin des Elfenfeuers
wurde, gibt es dort sicher Verletzte, die Hilfe brauchen. Komm Naemy, wir müssen . . . «
»Nein, warte!«, rief Naemy ihr nach. »Es hat keinen Sinn. Wir können nichts für diese Menschen tun. Das Dorf ist viel zu weit entfernt. Außerdem . . . «
... hinterlassen Cha-Gurrlinen-Krieger keine Verletzten, wollte sie sagen, doch angesichts der Gefühle ihrer Schwester brachte sie es nicht fertig.
»Wir können nichts tun?« Erbost schritt Shari auf die ältere Schwester zu. »Nichts tun?«,
wiederholte sie wütend. »Da hinten sind Menschen in höchster Not. Männer, Frauen und Kinder. Willst du hier tatenlos rumstehen und warten, bis alle tot sind?« Plötzlich kochte der Arger, den sie schon den ganzen Morgen mit sich herumtrug, in ihr hoch. »Du sagst, du seiest zurückgeschickt worden, um hier Leben zu retten ...«
»Shari, beruhige dich«, mahnte Naemy eindringlich, doch die Schwester hörte ihr nicht zu.
» ... bist jedoch nicht bereit, unser Volk zu warnen«, redete Shari einfach weiter, »und weigerst dich, den armen Menschen dort hinten zur Hilfe zu eilen.« In einer hilflosen Geste hob sie die Hände und ballte sie zu Fäusten. »Weißt du, was ich glaube? Du bist gar nicht zum Helfen hier, sondern gekommen, um dich an dem grausamen Schicksal zu weiden, das unser Volk erwartet... «
»Sei nicht so laut, bitte!«, flehte Naemy und warf einen besorgten Blick zu den Hügeln hinüber. Doch ihre Schwester war nicht zu beruhigen. »Oder verfolgst du am Ende ein ganz anderes Ziel? Was ist wirklich mit dir geschehen in den dreihundert Sommern? Hat der finstere Herrscher Macht über dich erlangt? Bist du inzwischen selbst zu einem seiner Schergen geworden?« Shari war so außer sich, dass sie nicht aufhören konnte zu sprechen. »Warum glaube ich dir überhaupt?«, giftete sie. »Welche Beweise habe ich, dass du mir die Wahrheit sagst? Vielleicht belügst du mich nur und benutzt mich für irgendwelche dunklen Machenschaften, welche die Herrschaft der Finsternis in der Zukunft sichern sollen. Wer sagt mir, dass du wirklich noch die hilfsbereite, anständige und großmütige Schwester bist, die ich vor ein paar Mondläufen in Numark zurückließ? Auch Elfen sind nicht unfehlbar. Du wärest nicht die Erste, die den Verlockungen der Macht erliegt. Vielleicht bist du ...«
Ein rascher und gut gezielter Kre-An-Sor-Schlag von Naemy beendete Sharis Redeschwall. Die junge Nebelelfe ächzte und sackte besinnungslos zusammen. Naemy fing sie geschickt auf und ließ sie sanft zu Boden gleiten. »Entschuldige, kleine Schwester«, murmelte sie bedauernd, »aber ich konnte nicht anders. Ich nehme es dir nicht übel, dass du an mir zweifelst, doch die schwarzen Krieger könnten in der Nähe sein, und ich darf nicht dulden, dass sie uns finden.« Zärtlich strich sie über Sharis Wange. »Ich kann mir denken, wie du dich fühlst, doch ich bin sicher, dass auch du meine Beweggründe irgendwann verstehen und einsehen wirst, dass ich nicht anders handeln kann - selbst wenn es mir das Herz bricht.« Sie setzte sich neben Shari auf den Boden, bettete deren Kopf auf ihre Knie und wartete, dass sie wieder erwachte.
Eine Weile später öffnete Shari blinzelnd die Augen und rieb sich den schmerzenden Hals, während sie sich stirnrunzelnd daran zu erinnern versuchte, was geschehen war. »Du . . . du hast. . . Du hast mich niedergeschlagen!«, stellte sie entrüstet fest und starrte ihre Schwester fassungslos an. Naemy nickte. »Es musste sein«, sagte sie leise. »Du hast immer lauter geschrien, so dass ich fürchtete, man könne uns hören. Es tut mir Leid, aber es ging nicht anders.«
»Die Cha-Gurrlinen, das Dorf!« Mit einem Satz war Shari auf den Beinen. »Barad, wie lange war ich bewusstlos?«, fragte sie und blickte gehetzt zu den dünnen Rauchsäulen hinüber. »Wir müssen doch . . . die armen Menschen . . . « Sie ballte die Fäuste, funkelte ihre Schwester wütend an und fragte erbost: »Warum hast du das getan?«
»Weil ich mich nicht einmischen darf. Ich nicht - und du auch nicht. Weder in das Schicksal der Menschen dort noch in das Schicksal unseres Volkes. Du bist tot, vergiss das nicht. Getötet in der Finstermark durch den Axthieb eines schwarzen Kriegers. Und ich . . . ich bin sogar zweimal hier. Einmal mit dir hier im Grasland und zur selben Zeit, nur dreihundert Jahre jünger, in Numark, wo ich nichts ahnend auf deine Rückkehr warte und mir große Sorgen mache.« Sie seufzte und sah Shari traurig an. »Wir sind
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