Die Saga von Thale 03 - Die Hüterin des Elfenfeuers
nervös, während es witternd den Geruch von Feuer und Tod in die Nüstern zog. Vorsichtig machte es ein paar Schritte auf das Dorf zu, floh dann aber sofort wieder ängstlich in den vermeintlichen Schutz des Gebüsches.
»Warte hier!«, flüsterte Naemy Shari zu. »Ich versuche, es einzufangen.«
»Viel Glück.« Shari nickte und beobachtete, wie ihre Schwester leise davonschlich. Eine Zeit lang war sie ihren Blicken entschwunden und tauchte dann unmittelbar vor dem Gebüsch auf, hinter dem sich das Pferd versteckte. Langsam ging sie um die Büsche herum und streckte dem Falben beruhigend die Hand entgegen. Zunächst wich das Tier furchtsam zurück. Der Geruch von Blut und Tod machte es nervös und ängstlich, doch dann schien es Vertrauen zu Naemy zu fassen, die ihm in der alten Sprache der Elfen leise etwas zuflüsterte. Kurze Zeit später fasste Naemy den Hengst an der Mähne, während sie ihm mit der freien Hand sanft über die Nüstern strich und ihm beruhigend den Hals klopfte.
Der Falbe stand ganz still. Nur die zuckenden Ohren zeugten davon, wie nervös er war. Naemy packte die Mähne fester und schwang sich in einer ansatzlosen Bewegung auf den Rücken des Tieres, das sogleich einen erschrockenen Satz machte. Mit furchtsam angelegten Ohren galoppierte es los, bockte und wehrte sich gegen die Reiterin, doch Naemy gab nicht nach. Die Hände fest in die dichte Mähne gekrallt, saß sie wie angewachsen auf dem Rücken des Hengstes. Was er auch anstellte, die Nebelelfe ließ sich nicht abschütteln. Er preschte über die hügelige Landschaft und trug Naemy mit atemberaubender Geschwindigkeit in westlicher Richtung vom Dorf fort.
Hin und wieder sah Shari die beiden auf den Hügelkuppen auftauchen, dann war auch der Hufschlag nicht mehr zu hören. Seufzend setzte sie sich auf den Boden und wartete auf die Rückkehr ihrer Schwester, während sie mit Grauen auf den Ort der Zerstörung blickte, der noch tags zuvor voller Leben gewesen sein musste. Bilder spielender Kinder kamen ihr in den Sinn, die zwischen den Hütten balgten und mit den Hunden des Dorfes um die Wette liefen. Im Geiste sah sie Frauen, die zum Brunnen liefen, um Wasser zu holen, und Männer, die ihrem Tagwerk als Bauern, Jäger oder Handwerker nachgingen. Ein friedliches Dorf im Sonnenschein, von dem nichts geblieben war als verbrannte Erde und der Geruch des Todes.
»Steig auf, Schwester!« Naemys Stimme riss Shari aus den Gedanken.
Augenblicklich war die junge Nebelelfe auf den Beinen und sah Naemy, die den Hügel hinaufritt.
Offensichtlich hatte der Falbe seine Reiterin mittlerweile anerkannt und gestattete ihr, den Weg zu bestimmen.
»Das ging aber schnell«, staunte Shari, trat neben das Pferd und ergriff Naemys Hand. Gekonnt schwang sie sich hinter ihrer Schwester auf den Rücken des Pferdes und umfasste ihre Taille.
»Der Falbe lernt schnell«, lobte Naemy das Pferd. »Zuerst hat er ein wenig gebockt, aber ich glaube, er hat es nicht wirklich ernst gemeint.« Sie grinste. »Wir sind uns schnell einig geworden.«
»Es ist gut, dass du so bald zurückgekommen bist«, sagte Shari.
»Dieser Ort ist voll schrecklicher Erinnerungen. Ich habe das Gefühl, als könnte ich im Wind noch immer die Schreie der Sterbenden und das Weinen der Kinder hören.«
»Dennoch war es richtig, das Dorf aufzusuchen«, meinte Naemy und klopfte dem Pferd aufmunternd den Hals. »Das ist ein kräftiges Pferd, das uns beide mühelos tragen wird. Ich hätte nicht damit gerechnet, hier ein derart prächtiges Tier zu finden. Ein Steppenpony vielleicht, aber niemals so ein gutes Pferd.«
»Du solltest ihm einen Namen geben«, meinte Shari.
»Dazu ist später noch Zeit«, erwiderte Naemy. »Wir müssen uns beeilen. Der Weg zum Dorf hat uns fast einen halben Sonnenlauf gekostet, und Nimrod ist noch weit.« Mit einem leichten Schenkeldruck hieß sie das Pferd wenden, schnalzte mit der Zunge, und der Falbe trabte an.
In den Höhlen der Kuriervögel von Nimrod herrschte beschauliche Ruhe. Zwölf der fünfzehn felsengrauen Vögel, die hier ihre Wohnstatt hatten, waren bereits von den nächtlichen Botenflügen oder der Jagd heimgekehrt und richteten sich darauf ein, den Tag im kühlen Dunkel der Höhlen zu verbringen. Einige widmeten sich noch der Gefiederpflege, andere hatten den wuchtigen Schnabel schon unter dem Flügel verborgen, schliefen oder dösten mit geschlossenen Augen vor sich hin.
In der mittleren Höhle hockten zwei Riesenalpe nebeneinander in einer Ecke
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