Die Saga von Thale 03 - Die Hüterin des Elfenfeuers
»Sobald die Sonne aufgeht, werde ich die Pfeile den drei mächtigsten Sehern Nimrods geben. Vielleicht gelingt es ihnen, etwas über den Feind herauszufinden und Licht in das Dunkel meiner Vision zu bringen.«
»So soll es sein.« Anthork nickte. »Doch bis dahin haben wir noch viel zu besprechen, denn es gilt, Nimrod und Thale vor dem Schlimmsten zu bewahren.«
Mit zarten grauen Schleiern glitt die Dämmerung in die Valdor-Berge, und der kühle Hauch des frühen Herbstes ließ sich auf der Lichtung nahe der Hütte nieder, die Naemy, Shari und Fedeon nun schon seit zwei Sonnenläufen miteinander teilten. In der windstillen Luft stiegen über dem Bach zarte Nebelschwaden auf, die sich wie eine wallende Decke über die Wiese breiteten und die Gräser mit feuchten Fingern benässten, während das verblassende Sonnenlicht schmale Streifen von Blau und Rosa an den Himmel malte.
Hoch oben in den Wipfeln der Christalltannen schmetterte ein einsamer Vogel sein Lied so laut in die Dämmerung hinaus, als verwechselte er die Vorboten des nahen Herbstes mit dem Frühling, während die nächtlich geschäftigen Nager piepsend durch das Unterholz huschten.
Alles war friedlich.
Naemy hockte in der geöffneten Tür der Jagdhütte und lauschte den Geräuschen des Waldes, während sie Shari beobachtete, die zum Bach gegangen war, um Wasser zu holen und nach Bronadui zu sehen, der ganz in der Nähe graste. Hinter ihr in der Hütte saß Fedeon mürrisch auf seinem Lager und tat, als meditierte er. Zuvor hatte er etwas von einer Vision gemurmelt, die sich nicht einstellen wollte und die er unbedingt in ein Lied oder Gebet einbringen musste; auch Naemys Bemerkung, dass er das Lied nicht mehr brauche, hatte ihn nicht von dem Vorhaben abbringen können. Die Nebelelfe spürte jedoch, dass er nicht wirklich meditierte. Es hätte sie sehr gewundert, wenn er trotz des Aufruhrs der Gefühle, die ihn plagten, zu einer so tiefen Entspannung fähig gewesen wäre. Vermutlich wollte er nur seine Ruhe haben, um über mögliche Fluchtpläne nachzudenken.
Naemy schüttelte betrübt den Kopf. Selbst nach zwei Sonnenläufen haderte Fedeon noch immer mit dem Schicksal. Sie spürte, dass er den Entschluss zu fliehen nicht aufgegeben hatte. Um ihn nicht noch wütender zu machen, hatte sie bisher darauf verzichtet, ihn des Nachts zu fesseln, und sich darauf beschränkt, den einzigen Zugang zur Hütte zu blockieren, indem sie ihr Lager vor der Tür aufschlug. Doch das konnte natürlich nicht immer so weitergehen. Schon bald würden sie die Lichtung verlassen und unter freiem Himmel schlafen. Spätestens dann musste sie sich etwas einfallen lassen, sonst würde der Skalde zu einer ernsten Gefahr werden. Doch sie wusste auch schon, was zu tun war.
Als wenig später blasssilbernes Mondlicht vom Himmel strömte und die Nebel über der Lichtung zum Leuchten brachte, richtete sich Naemy auf ihrem Lager vor der Tür auf, lauschte in die Dunkelheit im Innern der Hütte und nickte zufrieden. Fedeon und Shari schliefen tief und fest. Die Atemzüge der beiden waren leise und regelmäßig und wurden nur von den gedämpften Geräuschen der kleinen Nachtwesen unterbrochen, die draußen geschäftig um die Hütte huschten oder flatterten.
Naemy schob die Decke zurück, erhob sich und schlich lautlos zu Fedeon hinüber. In dem Raum war es so finster, dass ein Mensch nicht die Hand vor Augen hätte sehen können, doch das wenige Mondlicht, das in dünnen silbernen Streifen durch die Ritzen der Wände fiel, genügte der Nebelelfe, um selbst Einzelheiten deutlich zu erkennen.
Fedeon regte sich im Schlaf und murmelte etwas Unverständliches, als sie sich neben ihn kniete und schweigend verharrte. Was sie zu tun gedachte, war die einzige Möglichkeit, jegliche Gefahr zu bannen, die von dem jungen Skalden ausging. Dennoch tat sie sich schwer, diesen Schritt zu tun.
. . . wir besitzen die Macht dazu, doch ist es ein großes Unrecht und zutiefst verwerflich, die Gedanken eines Menschen zu beeinflussen oder gar zu verändern.
Mahnend erhob sich die Stimme ihrer alten Lehrmeisterin aus den Erinnerungen, während eine andere Stimme ihr zuflüsterte, dass dies der einzige Weg sei, sich vor Verrat zu schützen. Du musst es tun!, raunte sie beschwörend. Gib ihm eine andere Wahrheit und binde ihn an dich. Wenn du es nicht tust, wirst du ihn töten müssen, oder dein Auftrag wird scheitern, bevor er begonnen hat.
Naemy seufzte leise und hob die Hand. Sie hatte keine Wahl. Ein
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