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Die Sakristei Des Todes

Die Sakristei Des Todes

Titel: Die Sakristei Des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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Heilung verbreitete sich wie ein Lauffeuer in den stinkenden
Gassen von Southwark. Die Kranken und Lahmen strömten zur Kirche
und wurden ekstatisch begrüßt von Watkin und Pike, die den Vorplatz
von St. Erconwald in einen kleinen Markt verwandelt
hatten.
    »Die werden bald müde werden«, sagte
Athelstan leise zu Bonaventura. Er stand vor seinem Haus und
betrachtete die lange Reihe der hoffnungsvollen Pilger, die vor der
Kirche Schlange standen, um einen Blick auf das Skelett zu werfen,
vor dem großen Holzsarg eine Kerze anzuzünden und ein Gebet zu
sprechen. Athelstan hatte beschlossen, gute Miene zum bösen Spiel
zu machen. Die Arbeiter im Chor durften weitermachen, und er war
sicher, daß Cranston mit neuen Erkenntnissen kommen würde, die den
Fall ein für allemal klären würden.
    Aber am frühen Nachmittag war
Athelstans Optimismus verflogen. Von weiteren Heilungen wurde
gemunkelt; ein Kind mit Warzen behauptete, sein ekelhaftes Leiden
sei verschwunden. Ein saurer Magen war beruhigt, Lendenschmerzen
verflogen, und eine lange Liste von Leiden verging, nachdem der
Betroffene vor dem Sarg gebetet hatte. Master Bladdersniff und die
anderen Büttel kamen, um sich zu beschweren, aber Athelstan konnte
nur lautstark seinem Mißvergnügen über die Vorgänge Luft machen und
erklären, ihm sei die Sache aus der Hand genommen. Dann schloß er
sich in seinem Haus ein.
    Die Nachricht von dem wunderbaren
Fund in St. Erconwald lockte all die menschlichen Bussarde und
Windvögel an, die sich in Southwark herumtrieben: die Fälscher, die
»ehrbaren Männer«, die Kesselflicker und die Höker, die mit
religiösen Gegenständen handelten. Sie sammelten sich wie Fliegen
auf einem Misthaufen. Ein Gauner mit Augenklappe und einem
angeblich lahmen Bein hinkte in die Kirche, und als er herauskam,
warf er seine Krücke beiseite, behauptete, er sei geheilt, und
wollte die Krücke als gesegneten Gegenstand verkaufen. Er stand vor
Athelstans Haus und brüllte einer Schar von Zuschauern zu, für
einen Shilling sei dieses heilige Holz, das ihn nach Jerusalem und
zurück getragen habe, zu erwerben. Im Haus verzog Athelstan
unangenehm berührt das Gesicht. Da erklang eine zweite,
durchdringendere Stimme von der Kirche her.
    »Ich bringe Ablässe aus Rom! Vom
Stellvertreter Christi selbst in Avignon! Wenn ihr dieses Pergament
kauft, das beschrieben wurde mit Tinte aus einem Faß, hergestellt
aus dem Holz der Krippe unseres Jesuskindes, dann werden euch -
gegen ein gewisses Entgelt - alle eure Sünden vergeben werden, und
ihr werdet eintausend Tage und Nächte weniger im Fegefeuer
schmoren.«
    Athelstan saß da und stützte den
Kopf auf beide Hände; jetzt konnte er es nicht mehr ertragen. Er
entriegelte die Tür, riß sie auf und stapfte hinaus. Er packte die
hölzerne Krücke des »ehrenwerten Mannes« und schlug sie ihm über
den Rücken, daß es laut klatschte.
    »Im Namen Gottes, verschwinde!«
schrie er. »Kennst du nicht den Vers: ›Dies ist das Haus Gottes und
das Tor zum Himmel‹? Und kein schäbiger Marktstand in der
Cheapside!« Der Kerl stolperte, und seine Hand fuhr zum Messer an
seinem Gürtel. Athelstan hielt die Krücke in beiden Händen und kam
drohend näher.
    »Nur zu, du kleiner Pißköttel!«
schrie er und bediente sich unverbrämt des Cranstonschen
Vokabulars. »Zieh deinen Dolch, und ich schlage dir deinen
verdammten Schädel von den Schultern!« Wütend deutete der Priester
auf die kleine Zuschauerschar. »Das hier sind ehrliche Menschen.
Sie verdienen ihr Brot im Schweiße ihres Angesichts!« Der Kerl warf
Athelstan einen vorwurfsvollen Blick zu und machte sich schnell
davon. Schwer atmend lehnte der Priester sich auf die
Krücke.
    »Tut mir leid«, sagte er zu den
erschrockenen Zuschauern. »Geht jetzt nach Hause. Kümmert euch um
eure Frauen, eure Männer, eure Kinder. Behaltet euer Geld. Geht und
liebet eure Nächsten, und ihr werdet Gott finden - nicht bei diesem
peinlichen Mummenschanz der billigen Gaukelei!«
    »Ein Ablaß!« schrie die
durchdringende Stimme plötzlich. »Ein Ablaß für eure Sünden! Die
Himmelspforte lockt!« Athelstan richtete sich auf und funkelte den
Ablaßhändler an, der mit dem Rücken zu ihm auf der Kirchentreppe
stand. Ohne nachzudenken, ging Athelstan hinüber und rammte dem
Mann das Ende der Krücke so wütend ins Kreuz, daß der die Treppe
hinunterstolperte und unten auf allen vieren landete. Dort drehte
er sich um; sein gelbes Gesicht war eine Maske des Hasses, er
bleckte

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