Die Sakristei Des Todes
»Sehr gut«, murmelte
Athelstan.
»Es ist noch da!« rief Cranston aus
dem Seitenschiff, und Athelstan hörte, wie der Deckel des
Gemeindesarges geöffnet wurde.
»Aber die diebischen Halunken haben
ihre Spuren hinterlassen. Vier Fingerknochen fehlen, und drei von
den Zehen! Irgendein Drecksack verdient Geld mit dem Verkauf von
Reliquien.«
Athelstan zog es vor, den Sarg zu
ignorieren. Wer auch immer dieses Skelett zu Lebzeiten gewesen sein
mochte, er wußte, daß sie einem Mord zum Opfer gefallen und in den
letzten zehn bis fünfzehn Jahren umgebracht worden war. Während
Cranston in der Kirche umhertrampelte, ging Athelstan in die
Sakristei und legte Meßgewand und Stola in Gold an, denn nach der
kirchlichen Liturgie feierte man immer noch Ostern und das Wunder
des Pfingstfestes. Er füllte die Kännchen mit Wein und Wasser und
mußte unwillkürlich lächeln, als er sah, daß seine
Gemeindemitglieder, vermutlich angeführt von Watkin und Benedicta,
alles vom Staub befreit hatten. Er deckte ein Tuch auf den Altar,
holte das dicke, zerlesene Meßbuch heraus, und nachdem Cranston
fromm neben ihm niedergekniet war, machte er das Kreuzzeichen und
begann mit der Messe. Selbstverständlich tauchte Bonaventura wieder
auf, aber er benahm sich anständig und saß neben dem mißtrauischen
Coroner wie der heiligste Kater der ganzen Christenheit.
Ein guter Katerlik eben, dachte
Athelstan, aber er verzog keine Miene, sondern fuhr mit der Messe
fort und reichte Sir John die Heilige Kommunion in beiderlei
Gestalt. Der Coroner leerte den Kelch in einem Zug.
Nachher legte Athelstan in der
Sakristei die Gewänder ab. Cranston lehnte in der Tür und sah ihm
zu. »Keiner aus deiner Pfarrgemeinde ist erschienen«, bemerkte er.
»Weil sie nicht wissen, daß ich zurück bin, Sir John.« Athelstan
hatte die Worte kaum gesprochen, als Crim hereingestürmt
kam.
»Pater, ich habe gesehen, daß die
Kirchtür offen war.« Enttäuscht verzog er das schmutzige Gesicht.
»Ich hätte doch Meßdiener sein können!«
Cranston funkelte ihn stirnrunzelnd
an, aber Crim glotzte frech zurück und streckte ihm die Zunge
heraus. »Hör mal, Crim, möchtest du einen Botengang für mich
übernehmen?« fragte Athelstan schnell. »Sir John, den Brief… Ihr
wißt doch, den aus Boulogne.« Cranston reichte ihn herüber, und
Athelstan las ihn rasch. Die Dominikaner in Boulogne sandten ihm
brüderliche Grüße. Sie arbeiteten als Seelsorger in dem
Gefangenenlager außerhalb der Stadt und hatten dort gründliche
Nachforschungen angestellt, allerdings keine Spur von einem
Gefangenen gefunden, der mit Namen oder dem Äußeren nach dem
entsprach, den Athelstan suchte. Er rollte den Brief zusammen, nahm
einen Penny aus der Tasche und hockte sich vor Crim
nieder.
»Bring das der Lady Benedicta«,
sagte er. »Auf keinen Fall darfst du es verlieren.« Er umfaßte die
knochige Schulter des Jungen. »Hast du verstanden?«
»Ja, Pater.«
»Ab mit dir!«
Crim verschwand so schnell, wie er
gekommen war. »Hättest du das tun sollen?« fragte Cranston. »Warum
sagst du's ihr nicht selbst? Hast du Angst, Mönchlein?«
»Nein, Sir John. Aber es gibt Dinge,
an die man besser nicht rührt. Ich denke, Benedicta wird allein
trauern wollen. Aber kommt, wir haben anderes zu tun.«
»Wo denn?«
Athelstan bedeutete ihm, er solle
sich neben ihm auf die Altarstufe setzen.
»Ich habe Euch zu danken, Mylord
Coroner.«
»Wofür?«
»Dafür, daß Ihr mir den Unterschied
zwischen einem echten Bettler und einem
Simulanten erklärt habt.«
Cranston ließ seinen Wanst auf die
Stufe sinken. »Wovon um alles in der Welt
redest du, Mönch?«
»Hört zu, Sir John. Ich werde Euch
erzählen, was geschehen wird.«
ELF
Athelstan verschloß die
Kirchentüren; Cranston stapfte breitbeinig hinter ihm her, und auch
Bonaventura folgte ihnen ein kleines Stück, als sie durch die
Gassen von Southwark zum Haus des Tischlers Raymond D'Arques
marschierten. Seine Frau öffnete mit verschlafenem Gesicht, als
Athelstan ungeduldig an die Tür klopfte, und führte sie in die
Küche. Dann ging sie zum Fuße der Treppe und rief nach ihrem Mann.
D'Arques kam in einen Hausmantel gehüllt herunter; sein unrasiertes
Gesicht war in Sorgenfalten gelegt. »Sir John, Bruder Athelstan,
guten Morgen.«
»Guten Morgen, Master D'Arques«,
antwortete Cranston. »Geht es um die Angelegenheit in Eurer
Kirche?« fragte der Mann müde. »Aber bitte« - er wies auf die
Schemel rund um den Tisch -, »setzt
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