Die Salzbaronin
so ruhig wirkenden Gesicht, schaute Rosa auf sie herab.
Wie lange stand das Weib schon da? fragte sich Dorothea.
Götz grinste verlegen und räusperte sich.
Rosa machte noch einen Schritt auf sie zu. »Es ist besser, ihr zieht euch an!«
Ihre Stimme war verächtlich, so abfällig, dass Dorothea spürte, wie sich eine unglaubliche Wut in ihr zusammenbraute. Was erdreistete sich die Hexe, sie zu maßregeln? Und würde sie es mit hundert Männern im Wald treiben, ginge es das Kräuterweib nichts an! Sie spürte Götz’ sanften Druck auf ihrem Arm, doch sie wollte sich selbst von ihm nicht beruhigen lassen. Sie würde dem Weib schon sagen, was sie …
»Verdammt noch mal, beeilt euch endlich - es ist etwas Schreckliches passiert!« Rosas Stimme hatte nun eine andere Färbung, eine so blecherne und fremde, dass sie Dorothea innehalten ließ.
»Was ist los? Jetzt red halt endlich, Weib!« herrschte Götz die Heilerin an. Ohne Scheu war er aufgestanden und hatte begonnen, seine Hose anzuziehen.
»Es ist etwas Schreckliches passiert«, wiederholte Rosa. »Ellen ist tot!«
41
Mit Verschränkten Armen wartete Rosa, bis die beiden angezogen waren. Sie schaute nicht weg - welchen Grund für Artigkeiten und Feingefühl hätte sie gehabt? Statt dessen musterte sie Dorothea von unten bis oben.
Ihre Haut war blass, wie das bei einer aus dem Herrenhaus nicht anders zu erwarten war. Doch im Gegensatz zu ihrer Schwägerin war Dorothea erstaunlich kräftig gebaut. Es war also nicht »das andere«, was Götz an ihr reizte, denn sie war so gewöhnlich wie jedes dahergelaufene Weib. So sehr sich Rosa auch bemühte, ihr wollte nichts einfallen, was Dorothea liebens-und begehrenswert gemacht hätte.
Der Anblick, wie sie mit Götz dagelegen hatte, unter Rosas Birken, der hatte sie so wütend gemacht! So satt, so zufrieden mit sich und der Welt, während keine halbe Meile weiter Ellen wie eine Ratte ersoff. Da nutzte es auch nichts, dass sie nun ein zu Tode erschrockenes Gesicht machte! Die Tatsache, dass sie hier draußen im Wald herumhurte, während die Rehbacher vor lauter Erschöpfung nicht mehr geradeaus gucken konnten, erzürnte Rosa so sehr, dass sie das Weib am liebsten geschüttelt hätte.
Überall hatten die Leute nach Götz und der Salzbaronin gesucht. Selbst im Herrenhaus war einer gewesen - was nun wirklich nur jedes Schaltjahr einmal vorkam. Wie ein Wurf ausgesetzte Hunde waren sie herumgeirrt, kopflos, mit Augen, die nicht begreifen konnten, was sie gesehen hatten. Dann war Magda zu ihr gekommen und hatte sie atemlos gefragt, ob Rosa eine Ahnung hätte, wo die beiden stecken könnten. Rosa hatte nur genickt. Vielleicht war es einer dieser selten gewordenen Augenblicke, in denen sie mehr sah als andere Menschen. Vielleicht war es auch nur Zufall, dass ihr erster Einfall war, im Wald - einem für Liebespaare schließlich nicht ungewöhnlichen Ort - nach den beiden zu suchen. »Ich bring’ euch die beiden« - mit diesem Versprechen hatte sie Magda zu den anderen zurückgeschickt und sich auf die Suche nach der Gräfin und Götz gemacht.
Schon am Waldrand war das Stimmengemurmel von hundert Kehlen zu hören. Alle hatten sich versammelt, wahrscheinlich war nicht einmal eine Notbesetzung in den fünf Sudhäusern zurückgeblieben. Jeder, der nicht dabei gewesen war, wollte alles über das Unglück erfahren, und diejenigen, die am Schacht gewesen waren, versuchten zu verstehen, was passiert war.
Als Dorothea und Götz näherkamen, traten die Leute unwillkürlich einen Schritt zurück, um sie durchzulassen.
Rosa sah in bedrückte Gesichter und in solche, in denen die Wut und Fassungslosigkeit deutlich geschrieben stand.
Ellen lag wie aufgebahrt am Rande des Schachtes. Jemand hatte einen dunklen Mantel unter sie geschoben. Vom Schachteinstieg bis zu der Stelle, wo Ellen lag, war der feuchte Boden weggeschabt - wahrscheinlich hatten sie die Tote halb getragen und halb geschleift. Hermann und all ihre fünf Kinder knieten neben ihr. Keines weinte, sie schauten nur immer wieder von dem stillen Gesicht ihrer Mutter zum Vater, der laut schnaufend und mit verzerrter Miene dasaß. Rosa wusste nicht, was die Kleinen mehr ängstigte: dass ihre Mutter tot war oder dass ihr Vater wirkte wie ein Bulle, der im nächsten Moment alles auf die Hörner nehmen wollte, was ihm unter die Augen kam. Hermanns Wutausbrüche waren nicht nur in der Saline gefürchtet. Er gehörte zu den Männern, die öfter als andere zu Hause zuschlugen, und
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