Die Salzbaronin
gerade eben erst unten, hatten den ersten Eimer noch nicht mit Erde gefüllt, als plötzlich ein eiskalter Schwall Wasser unsere Füße überspülte. Zuerst haben wir uns nicht viel dabei gedacht - das Wasser kommt ja seit einigen Tagen immer wieder mal hoch. Doch dann, auf einmal, begann es auch von der Seite her einzubrechen und nicht nur von unten. Da haben wir uns natürlich beeilt, nach oben zu kommen. Wir wollten dich holen, damit du dir die Sache anguckst.«
»Ihr seid hoch und habt das Weib allein unten gelassen?«
»Natürlich nicht!« Endlich war etwas Abwehr in Mäuls Stimme.
Rosa atmete tief ein. Das hätte Götz und Dorothea gepasst - dem Solenachfüller einfach die ganze Schuld in die Schuhe zu schieben!
»Ellen war die erste auf der Leiter, und wir hatten die ersten zehn Sprossen schon hinter uns, als sie so plötzlich anhielt, dass Richard ihr fast ins Kreuz gestoßen wäre.« Er schaute zu Richard hinüber, der heftig nickte. Ja, so war es gewesen. »Sie müsse noch einmal nach unten, hat Ellen gemeint und sich an uns vorbeigequetscht, bevor wir sie zurückhalten konnten.«
»Aber was hat Mutter da unten noch gewollt?« schrie plötzlich Ellens ältester Sohn Ullrich. Erschrocken blickten seine Geschwister erst ihn, dann ihren Vater an, der nur mit Mühe von seinen Kameraden festgehalten werden konnte.
Martin Mäul spuckte ein trockenes Lachen aus. »Sie hat ihre Schaufel unten vergessen gehabt.«
Mehr brauchte er nicht zu sagen.
Jeder wusste, wie es bei den Lochmüllers aussah. Es gab kaum einen Monat, wo der Lohn der beiden ausreichte, um alle Mäuler satt zu kriegen. Ob es eine Krücke war oder eine Schaufel - die Familie konnte es sich nicht leisten, ein Werkzeug einfach so zu verlieren.
»Sie hat nicht einmal eine Lampe mitgenommen, hat gemeint, ihre Schaufel würde sie auch so finden. Statt dessen musst sie irgendwie den Halt verloren haben. Wie sie dann geschrien und nach Luft geschnappt hat, da unten in dem schwarzen Loch - das war unheimlich!« Martin Mäul blickte zu Hermann hinüber. »Richard und ich sind sofort runtergestiegen, doch es war zu spät.« Mit einer hilflosen Geste ließ er beide Hände in den Schoß fallen. »Sie war ersoffen. Wir haben mit der Lampe richtig ins Wasser leuchten müssen, bis wir sie hatten.« Er fuhr sich über die Augen, als wollte er sich von dem schrecklichen Bild befreien. »Eines verstehe ich nicht! Warum ist das verdammte Wasser nicht in den dafür vorgesehenen Schacht geflossen?«
Götz sah aus, als würde er einen innerlichen Kampf darüber fuhren, welche Antwort er wie geben sollte.
Während ihn alle anstarrten und auf eine Antwort warteten, schaute Rosa zur Salzbaronin hinüber. Doch Dorothea schwieg. Gab es also keine großen Töne mehr zu spucken! Statt dessen ließ sie Götz nicht aus den Augen. Rosa konnte die Beschwörungen, die sie ihm mit ihrem Blick unhörbar zukommen ließ, ablesen, als wären sie in dicken, schwarzen Lettern auf ihre Stirn geschrieben. »Sag nichts, was die Leute noch mehr ängstigt!« - »Schweig, wenn die Wahrheit dem Schacht schadet!«
Götz sagte: »Vielleicht war der Wasserschacht nicht tief genug, um das aufsteigende Grundwasser auffangen zu können.« Er spuckte vor sich auf den Boden. »Verdammt noch mal, wenn ich gewollt hätte, hätt’ ich da unten im Wasser noch stehen können! So tief, dass einer ersaufen musst, ist es doch gar nicht!«
»Der Schacht war nicht tief genug, ja? Das ist alles, was du mir zu sagen hast?« Götz’ zweiten Satz wollte Hermann nicht hören.
Götz wich dem Hasserfüllten Blick nicht aus. »Es war ein Unfall. Ein tragischer Unfall. Keiner hat Schuld. Ich weiß, dass es schrecklich sein musst für …«
»Das war kein Unfall!« schrie Hermann mit hochrotem Gesicht.« Ich kann dir sagen, wer schuld hat am Tod meines Weibes.« Er Riss sich los und kam näher. »Die da! Die hat schuld!« Sein Zeigefinger berührte fast Dorotheas Brust. »Einen Schacht sollen wir graben - aber Werkzeug dafür bekommen wir keines!« schrie er. »Wir sollen unsere Schichten in der Saline machen und außerdem noch die halbe Nacht im Schacht verbringen - doch wir bekommen nicht einen Heller zusätzlich für die ganze Schinderei. Wir opfern unsern Schlaf und unsere Gesundheit, wir schippen uns den Buckel krumm - und wofür das Ganze? Ich kann’s euch sagen!« Kleine Spuckefetzen flogen durch die Luft und landeten auf Dorotheas Schulter. »Dafür, dass am Ende gar kein Salz da unten sein wird,
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