Die Samenhändlerin (German Edition)
wurde?
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Der Sommer wurde müde, der Herbst lugte an manchen Tagen schon um die Ecke, und jede Stunde war von früh bis spät mit Arbeit ausgefüllt: Äpfel und Birnen mussten gepflückt, entkernt und in feine Ringe geschnitten werden. Diese wurden dann auf speziellen Vorrichtungen im großen Ofen des Backhauses gedörrt – eine schweißtreibende Arbeit, vor allem, da es für die Jahreszeit noch recht warm war. Auf den Gemüseäckern war ebenfalls vieles erntereif. Da sich Seraphine noch immer von ihren schweren Blutungen erholen musste, blieb der größte Teil der Arbeit an Hannah hängen, was ihr aber nicht das Geringste ausmachte. Sie konnte sich an jedem Weißkrautkopf, an jedem Busch Bohnen freuen, war sie esdoch gewesen, die den Samen dazu gesteckt hatte. Jeden Tag füllte sich der Keller des Kernerschen Hauses ein wenig mehr: Körbe mit Dörrobst drängten sich neben Körben mit Zwiebeln und einer prall gefüllten Kartoffelschütte, auf den Regalen reihten sich steinerne Töpfe mit eingekochter Marmelade. Der Anblick erfüllte Hannah mit Stolz und Zufriedenheit. Früher, in Nürnberg, hatten ihre Eltern sämtliche Lebensmittel, die den Gästen des »Goldenen Ankers« aufgetischt wurden, auf dem Markt oder bei fahrenden Händlern gekauft. Statt eines Küchengartens konnte der elterliche Gasthof lediglich einen düsteren Hinterhof aufweisen. Dass es so viel Spaß machen konnte, Nahrungsmittel selbst anzubauen und wachsen zu sehen, hätte Hannah nie gedacht.
Sie wurde nicht müde, die erdigen Düfte in sich aufzunehmen, die über den Feldern hingen: Der leicht faulige Verwesungsgeruch, der vom Krautacker emporstieg, die Süße überreifer Äpfel auf den Wiesen, der intensive Duft von geschnittenem Liebstöckel oder Bohnenkraut – alles zusammen ergab eine Mischung, die Hannah in der Nase kitzelte, betörte und sie gleichzeitig ein wenig traurig machte.
Das Jahr verzehrte sich selbst.
Als hätte es eine geheime Absprache gegeben, verabschiedete sich das schöne Wetter just an Hannahs und Seraphines letztem Tag in Gönningen. Als Hannah am Tag der Abreise aus dem Fenster schaute, war es draußen so trüb und grau wie in ihrem Inneren: Ein heftiger Wind wehte kleine Äste und Blätter durch die Gassen, Regentropfen schlugen plätschernd auf dem Kopfsteinpflaster auf. Wilhelmines Rosenbüsche duckten sich gegen den Regen an die Hauswand. Weit und breit war kein Mensch zu sehen.
Hoffnung keimte in Hannah auf. Bei solch einem Wetter würde doch niemand von ihnen erwarten loszuziehen! Raschkroch sie noch einmal zurück ins Bett, zu Helmut, der mit Valentin erst in ein paar Tagen abreisen wollte.
Doch nach einer Stunde riss der Himmel auf, es wurde hell, die Oktobersonne spiegelte sich in den nassen Oberflächen ringsum und blendete in den Augen.
Hannahs Gnadenfrist war abgelaufen.
»Und – wie sehe ich aus?« Hannah rückte ein letztes Mal ihr grünes Reisekleid zurecht. Mit der rechten Hand befingerte sie die schwarz gekreppte Spitzenhaube, die sie mit Nadeln in ihrem Haar befestigt hatte. Die Gönninger Samenhändlerinnen trugen zwar keine Tracht, wenn sie auf die Reise gingen, aber die schwarze Spitzenhaube war dennoch so etwas wie ein Erkennungszeichen. Hannah hatte ihre von Wilhelmine bekommen, Seraphine trug ihre eigene Haube.
»Gut!«, antwortete Helmut kurz angebunden, während er gleichzeitig versuchte, die zappelnde Flora auf seinem Arm zu halten. Dann schien er sich eines Besseren zu besinnen. »Die Elsässer werden euch aus der Hand fressen! Ihr werdet eure Ware im Nu verkauft haben, du wirst schon sehen.«
Hannah seufzte. Sie konnte die aufmunternden Worte gut gebrauchen, denn sie selbst war weitaus weniger zuversichtlich als ihr Mann. Mehr als einmal hatte sie ihre vollmundigen Worte an Floras Geburtstag schon bereut.
»Wahrscheinlich werden sie uns in kürzester Zeit als Hochstaplerinnen entlarven … Ich meine, so viel wissen wir nach diesem Sommer doch auch noch nicht vom Ackerbau.« Sie warf einen kurzen Blick zu Seraphine hinüber, die ein Stückchen abseits schweigend neben Valentin stand – auch eine Art, Abschied zu nehmen.
Hannah starrte auf das Vesperpaket, das Wilhelmine ihr zuvor in der Küche in die Hand gedrückt hatte – hart gekochte Eier, Brot, ein Stück Käse. Sie wandte sich abrupt ab, machteein paar Schritte auf das Haus zu, als wolle sie wieder hineingehen, drehte sich erneut um …
Helmut verfolgte diesen seltsamen Tanz mit einem spöttischen
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