Die Samenhändlerin (German Edition)
Seraphine Schwarz, sie kannten sich schon von Kindesbeinen an, und irgendwann musste schließlich jeder einmal dran glauben. Aber im Grunde sei es eher eine Art geplante Vernunftehe, hatte Helmut Hannah erklärt.
Das hörte sich für Hannahs Ohren alles andere als verliebt an.
Jetzt läge die Sache natürlich ganz anders, sagte Helmut dann. Er müsse mit seinem Vater sprechen. Mit seiner Mutter natürlich auch. Dafür wäre jedoch der richtige Zeitpunkt entscheidend, das würde sie doch verstehen?
Natürlich. Hannah verstand.
Er würde auch mit Seraphine sprechen müssen, das schwierigste Unterfangen von allen. Auch dafür bedurfte es des richtigen Zeitpunktes, immerhin nähte Seraphine schon an ihrem Hochzeitskleid. Und es bedurfte der richtigen Worte. Die müsse er sich noch zurechtlegen.
Natürlich.
Hannah verstand alles und verteilte winzige Küsse auf Helmuts Gesicht.
Wenn wenigstens Seraphines Vater wieder von seiner Reise zurück wäre! Seit Tagen wurde seine Heimkunft erwartet, aber er kam und kam nicht! Mit ihm und Else Schwarz, der Mutter, galt es ebenfalls zu reden. Wie Helmut ihnen die ganze Angelegenheit erklären sollte, wusste er noch nicht, aber bestimmt würde ihm etwas einfallen.
Natürlich.
Bei seinem nächsten Besuch hatte Helmut sie aufs Neue vertröstet, hatte etwas vom richtigen Zeitpunkt gemurmelt.
Aber wann war der richtige Zeitpunkt? Wann würde er die richtigen Worte finden?
Arme Seraphine … Die Vorstellung, dass ein paar Häuserweiter ein junges Mädchen an seinem Brautkleid nähte, nicht wissend, dass hier eine Frau saß, die ein Kind von dem Bräutigam erwartete, weckte kurz Mitleid in Hannah. Doch es verflog wie Rauch durch einen zugigen Kamin.
Und heute war schon Heiligabend! Die Hochzeit war für den siebten Januar vorgesehen, Hannah hatte den Zettel mit dem Aufgebot im Glaskasten vor der Kirche hängen sehen. Wann wollte Helmut seiner »Braut« mitteilen, dass es nichts wurde mit dem Ja-Wort? In der Kirche etwa?
Eine Verlobung konnte doch nicht so mir nichts, dir nichts aufgelöst werden, oder? Diese Schmach – Hannah mochte sich gar nicht vorstellen, wie man sich als verschmähte Braut fühlte. Musste diese Seraphine nicht auf irgendeine Weise für ihre verlorene Ehre entschädigt werden? Womöglich mussten dafür sogar hochoffizielle Papiere unterschrieben werden, in denen die Höhe des Kranzgeldes festgelegt wurde. Von all diesen Sachen hatte Helmut bisher kein Sterbenswörtchen gesagt!
Abrupt stand Hannah vom Bett auf und trat erneut ans Fenster. Mit dem Zeigefinger malte sie an die beschlagenen Scheiben ein Guckloch. Trotz der dunstigen Nacht waren fast alle Fenster der umliegenden Häuser hell erleuchtet. Frauen trafen dort sicherlich ihre letzten Vorbereitungen für das Essen nach dem Kirchgang. Kinder hüpften aufgeregt umher, der Gang in die Kirche war für sie nur eine lästige Pflicht, wo zu Hause doch reichlich Essen und vielleicht sogar kleine Geschenke auf sie warteten.
Was Helmut wohl gerade tat? War er womöglich bei dieser Seraphine? Während sie hier saß, einsam und traurig und …
Wie ein Opferlamm.
Der Gedanke gefiel Hannah nicht. Nein, er gefiel ihr ganz und gar nicht. Sie war vielleicht eine dumme Gans gewesen, damals, in Nürnberg, als sie Helmut erlaubte, mit ihr … Aberein Opferlamm war sie nicht! Sonst hätte sie gleich zu Hause bleiben können.
Sie ergriff ihren Mantel, den sie nach ihrem letzten Spaziergang zum Trocknen über dem Tisch ausgebreitet hatte.
Schon viel zu lange hatte sie sich hier versteckt. Vor den neugierigen Blicken der Gönninger. Vor ihren Fragen nach dem Grund ihres Besuchs. Vor Helmuts Familie. Vor einer Begegnung mit dieser Seraphine.
Damit war nun Schluss!
Ihre Geduld war zu Ende.
Polternd rannte sie die Treppe hinunter. Hoffentlich waren Emma und Käthe noch da. Und wenn nicht, dann würde sie den Weg in die Kirche auch allein finden.
Schon beim Gedanken daran begannen ihre Knie zu schlottern wie zwei Espen im Wind.
8
Die Kirche war bis auf den letzten Platz besetzt. Während sich Emma und Käthe bis zur Mitte durchzwängten, wo irgendjemand Plätze für sie freigehalten hatte, blieb Hannah ein wenig hinter einem Pfeiler verborgen neben der letzten Reihe stehen und nickte ein paar Frauen zu, die sich neugierig zu ihr umdrehten. War eine davon etwa Seraphine?
Es roch nach Seife, gegorenen Äpfeln und Mottenkugeln – eine seltsame Mischung, die Hannah fremd war und die doch hierher, in diese Kirche
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