Die Samenhändlerin (German Edition)
strahlenden Gesicht die Herzen der Gönninger eroberte: Alle schienen sich mit Helmuts Brautwahl abgefunden zu haben. Und das trotz des Skandals um Seraphine und die geplatzte Hochzeit. Und trotz der Tatsache, dass Hannah eine »Reing’schmeckte« war. Wildfremde Leute trösteten die Braut, die ein oder zwei Tränen vergießen musste, weil ihre Eltern nicht hatten anreisen können. Geschäftliche Verpflichtungen? Ein Wirtshaus, das man nicht einfach schließen konnte? Ja, so etwas kannten sie auch! Hannah bekam die Geschichte der schwierigen Geburt von Klein-Michael zu hören, wo außer dem alten Großvater niemand der Gebärenden hatte helfen können, weil alle auf der Reise waren, sogar die Hebamme! Und die Geschichte von Otto, der gestorben war und dessen Frau nicht zur Beerdigung kommen konnte, weil sie in einem Schneesturm im Schwarzwald festsaß. Die eigene Frau – man stelle sich vor!
»Ganz so schön wie Seraphine ist sie nicht, dafür aber fleißig, wie Emma mir berichtet hat«, hatte man Gottlieb nach dem Gottesdienst gegenüber dem Apotheker sagen hören, und dank dessen Frau Elsbeth, die mit gespitzten Ohren daneben stand, hatte dieser Satz nach kürzester Zeit die Runde gemacht. Fleiß –damit konnten die Gönninger etwas anfangen! Schönheit – nun ja …
Nach dem Essen kam Bewegung in die Festgemeinde: Stühle wurden gerückt, damit man mit Leuten an anderen Tischen ein paar Worte wechseln konnte, von den Jüngeren begannen tatsächlich ein paar Mutige, das Tanzbein zu schwingen, und die Älteren schauten Pfeife rauchend dabei zu.
Die Männer gratulierten Helmut zu seiner Wahl und klopften ihm anerkennend auf die Schulter, als wäre der Bräutigam nach jahrelanger Brautschau mit Hannah nach Hause gekommen. Dass die Verheiratung sozusagen gezwungenermaßen stattfand, erwähnte niemand, nicht einmal hinter vorgehaltener Hand. Die Frauen waren weniger euphorisch – Wilhelmine Kerner am allerwenigsten. Aber auch sie bemühten sich, Hannah in ihrer Runde willkommen zu heißen. Es wäre unklug gewesen, es sich mit der wohlhabendsten Familie am Ort zu verscherzen. Wer wusste schon, ob diese Hannah nicht eines Tages mal ein gutes Wort für den einen oder anderen einlegen würde …
Ein bisschen war es, als würden sich die Gönninger an diesem Abend selbst feiern. Zufrieden mit sich und ihrer weltoffenen Art, die sie auch ungewöhnliche Situationen souverän meistern ließ, ließen sich bald alle im Festtrubel treiben, tanzten, sangen und aßen, was Küche und Keller zu bieten hatten. Wenn überhaupt jemand einen Gedanken an das unglückliche Mädchen, das am anderen Ende des Dorfes in seiner Hütte saß, verschwendete, dann war dieser flüchtig und wurde schon nach wenigen Takten von der Musik übertönt.
Der Abend war bereits fortgeschritten, als Gottlieb Kerner die Musiker anwies, einen Tusch zu spielen. Leicht schwankend stand er von seinem Platz auf und musste sich an Wilhelmines Stuhllehne festhalten, was von ihr mit einem missbilligendenStirnrunzeln quittiert wurde. Es dauerte einen Moment, bis sein Fuchteln mit den Händen die erwünschte Wirkung zeigte und die Gäste verstummten. Die Gemüter waren erhitzt, die Köpfe rot, die Zungen warm geredet – jetzt der Ansprache des Bräutigamvaters zuzuhören war nur eine lästige Pflicht. Natürlich hieß er zuerst Hannah in der Familie willkommen. Natürlich wünschte er dem Brautpaar alles erdenklich Gute, griff natürlich auch zu einem Vergleich mit sich und seiner Wilhelmine, als sie damals, vor mehr als fünfundzwanzig Jahren … All das kannte man, solche Sätze wurden auf jeder Hochzeit gesprochen, mal mit mehr, mal mit weniger Feuer in der Stimme.
»… ist die Zeit für eine grundlegende Veränderung gekommen.«
Die Leute horchten auf.
»Nachdem du, lieber Helmut, heute den Grundstein für eine eigene Familie gelegt hast, möchte ich einen weiteren Grundstein dazulegen. Schließlich soll euer ›Haus der Ehe‹ auf einem soliden Boden gebaut werden!« Beifallheischend ob seiner Wortgewandtheit schaute er in die Runde. Erst nach dem anerkennenden Murmeln und Nicken der Gäste sprach er weiter.
»Ihr alle wisst, dass der Samenhandel den Männern der Familie Kerner in die Wiege gelegt worden ist. Schon mein Ururgroßvater …« Das Interesse der Zuhörer schwand wieder, auch diese Geschichten kannte man, sie ähnelten sich in allen Familien. Verstohlen wischte man sich den Schweiß von der Stirn, nippte am Bier oder steckte sich
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