Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Samenhändlerin (German Edition)

Die Samenhändlerin (German Edition)

Titel: Die Samenhändlerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
Vom Netzwerk:
Hände in die seinen. Er schaute sie an, und sein Lächeln verflog.
    »Du heiratest einen Wandervogel, Hannah. Das muss dir klar sein. Das Leben als Frau eines Samenhändlers wird nicht immer ganz leicht sein.«
    Sie nickte. Hauptsache, ich heirate überhaupt, lag es ihr auf der Zunge zu sagen. Doch stattdessen erwiderte sie: »Dieses Umherziehen, morgens nicht wissen, was der Tag bringt, abends nicht wissen, wo man sich betten soll – also, für mich wäre das nichts! Mir hat meine Reise von Nürnberg bis hierher gereicht. Und gefährlich ist’s obendrein. Gleich am ersten Tag, kurz nachdem wir Nürnberg verlassen hatten, erlitt unsere Kutsche einen Achsenbruch, und wir wären um ein Haar im Graben gelandet!« Der Gedanke, dass eines Tages auch sie mit einem Sack Sämereien über der Schulter von Haus zu Haus würde ziehen müssen, überfiel sie wie ein unerwarteter Gewitterregen. Sie, die gerade einmal eine Tulpe von einer Rose unterscheiden konnte! Sie, die noch mit Schrecken an ihre Reise von Nürnberg hierher dachte! Mit angehaltenem Atem wartete Hannah auf Helmuts Reaktion.
    Helmut lachte. »Ein Achsenbruch kann dir auch mitten imDorf passieren. Sicher, solche Zwischenfälle sind lästig, aber all die schönen Momente, die man auf der Reise erleben darf, wiegen solche Lappalien dutzendfach wieder auf. Frei zu sein, denken zu können, was man will – allein dafür lohnt es sich, es mit jeder Gefahr aufzunehmen.«
    Sein Blick verlor sich in der Weite der Landschaft. Als er weitersprach, lag in seiner Stimme ein seltsamer Nachdruck.
    »Manchmal, wenn ich zu Hause bin, habe ich das Gefühl, mein Gehirn friert ein und ich kann nicht mehr richtig denken. Sogar das Atmen fällt mir dann schwer! Als ob da etwas ist, was mir die Luft zum Leben raubt.« Er schüttelte verwundert den Kopf. »Die da unten im Dorf sind ein ganz besonderer Schlag Menschen, musst du wissen. Bei uns wird nicht so viel gelacht wie anderswo, dafür umso mehr gejammert. Dabei gibt es hier viel weniger Grund zum Jammern als anderswo! Gewiss, auch bei uns gibt es arme Leute, aber die findest du andernorts auch, mehr als bei uns, und trotzdem erlebst du in anderen Städten und Dörfern eine gewisse Fröhlichkeit. Ha, wenn ich allein ans Badische denke, wo die Katholiken ihre Fasnacht feiern – so etwas wäre bei uns undenkbar! Sich verkleiden, närrisch sein – wie gotteslästerlich! Wundere dich nicht, wenn heute Abend der Tanzboden nicht voll wird, viele Gönninger haben nämlich nie gelernt, das Tanzbein zu schwingen!«
    »Wie meinst du das?«, fragte Hannah stirnrunzelnd. Tanzen konnte doch jeder Mensch! Zu Hause in Nürnberg musste nur ein Gast seine Mundharmonika auspacken, und schon wurden Tische und Bänke zur Seite geschoben, und dann wurde gehüpft und getanzt!
    »Na ja, wir Jungen sind dem Tanzen gegenüber nicht abgeneigt, aber die Alten tun sich schwer damit, sich einfach treiben zu lassen. Das wäre ja offen zur Schau gestellte Fröhlichkeit! Dass es vielleicht die eine oder andere Möglichkeit gibt,das Leben etwas lebenswerter zu gestalten, wollen viele nicht glauben, dafür linsen sie viel zu sehr nach dem Himmelreich, das sie für alle Entbehrungen auf dieser Welt entschädigen wird.«
    »Aber diese Entbehrungen – sind die nicht selbst auferlegt? Ich meine, der Handel bringt doch ordentlich was ein.« Die Skepsis in Hannahs Stimme war nicht zu überhören. Das, was Helmut gerade erzählte, passte so gar nicht zu dem Bild, das sie sich von dem Dorf gemacht hatte. Die schönen Häuser, die gut gekleideten Menschen …
    »Natürlich bringt der Handel was ein, doch statt sich die eine oder andere Freude zu leisten, investieren die Leute lieber wieder ins Geschäft. Ich behaupte nicht, dass dies nicht sinnvoll wäre. Aber was ist mit denen, die nicht erst aufs Himmelreich warten wollen? Die schon im Hier und Jetzt ein besseres Leben führen wollen? Die statt zu Fuß zu gehen sich ein edles Ross kaufen wollen? Die einen Mantel nur fünf und keine zehn Jahre auftragen wollen?«
    »Ich glaube, du siehst das alles ein bisschen schwarz. Hier ist es doch schön«, sagte Hannah betreten.
    Er lachte. »Was kennst du schon von der Welt, um einen Vergleich ziehen zu können? Warte nur ab, in ein, zwei Jahren bist du vielleicht auch schon mit der Reisekrankheit infiziert, dann wirst du mich verstehen.«
    Nachdenklich schaute Hannah ihren zukünftigen Mann an. Diese Begeisterung! Die Poesie in seinen Worten, wenn es um das Reisen ging!

Weitere Kostenlose Bücher