Die Samenhändlerin (German Edition)
mochte, endlich auch einmal die weite Reise nach Russland anzutreten. Bisher hatte sich gerade einmal eine Hand voll Gönninger nach Russland gewagt, und diese waren mit unglaublichen Geschichten zurückgekehrt. Das Geld für ein solches Unterfangen war vorhanden, das wussten die Brüder sehr wohl, die Frage war nur, ob sich der Vater bereit erklärte, solch ein Abenteuer zu finanzieren. Auch einen Kontakt in Russland gab es bereits: Leonard, ein entfernter Cousin des Vaters, der vor mehr als dreißig Jahren während der großen Hungersnot nach Russland ausgewandert war, fragte in jedem seiner Briefe an, wann ihn wohl endlich einmal jemand aus der Familie besuchen käme. Er war ein gemachter Mann, ihm gehörte ein großes Handelsunternehmen, seine Frau Eleonore unterhielt sogar beste Kontakte zum Zarenhof, hieß es. Dort würde sich Geld verdienen lassen, war die einhellige Meinung der Brüder. Jeder wusste doch, wie wichtig es die russischen Zaren mit ihren groß angelegten Gärten und Parks nahmen. Nach Russland wollten sie folglich nur Blumensamen mitnehmen, ganz ausgefallene Sorten. Dazu die besten Blumenzwiebeln, sackweise, so viel stand schon fest. Das war doch etwas völlig anderes, als Jahr für Jahr dieselben Bauern und Hausfrauen in Böhmen oder im Elsass zu besuchen und hier ein paar Kohlrabi-, da ein paar Möhrensamen unter die Leute zu bringen!
Wenn Valentin die Wahl gehabt hätte, so hätte er Amerika einer Russlandreise vorgezogen – die Geschichten, die man aus Amerika hörte, waren noch bunter, noch abenteuerlicher. Aber davon wollte Helmut nichts wissen. Amerika? Mit einem Schiff wochenlang übers Meer fahren? Das war ihm dann doch eine Spur zu aufregend. Valentins Argument, dass er, um nach Russland zu kommen, ebenfalls ein Schiff würde besteigen müssen, ließ Helmut nicht gelten: Eine harmlose Fahrt die Donau hinab war schließlich mit einer Ozeanüberquerung nicht zu vergleichen.
»Wenn sich Vater auf seine Wahl vorbereitet, wird er erwarten, dass wir schon im Frühjahr seine Kunden übernehmen. Dann können wir den Plan, nach Russland zu reisen, erst einmal vergessen.« Valentin zuckte mit den Schultern. Es erstaunte ihn, wie wenig ihn dieser Gedanke berührte. Russland – was ging ihn Russland an, wo Seraphine allein zu Hause saß und sich wahrscheinlich die Augen ausheulte!
»Das Elsass, das ist doch was für alte Leute und Weiber.« Helmut zog ein verächtliches Gesicht. »Nein, nein, so schnell gebe ich nicht auf! Gleich morgen werde ich mit Vater reden. Wenn er sich querstellt, müssen wir eben eine Alternative finden. Es gibt schließlich noch andere Geldgeber.«
»Du würdest tatsächlich bei Fremden Geld leihen?« Valentin runzelte die Stirn.
»Wenn’s nicht anders geht«, bestätigte Helmut. »Vater wird dumm dreinschauen, wenn ich ihm damit drohe, so viel steht fest!«
Valentin nickte. Gottlieb Kerner war einer der größten Geldgeber im Dorf, es war gang und gäbe, dass Händler zu ihm kamen, um sich eine Reise finanzieren zu lassen. Wenn nun ausgerechnet seine Söhne zu einem anderen, womöglich noch zu einem der Tübinger Halsabschneider gingen …
»Und was ist mit deiner Frau? Ihr bekommt ein Kind«, hörteValentin sich sagen, obwohl ein Blick in Helmuts Miene ausreichte, um ihn davon zu überzeugen, wie ernst der es mit seinen Plänen meinte.
»Was hat das mit Russland zu tun?«, erwiderte Helmut, ehrlich verdutzt. »Das Kind wird auch ohne mich auf die Welt kommen.«
Valentin spürte, wie ihn ein Hauch der Erleichterung überkam. Hochzeit oder nicht, verheiratet hin oder her – was ihre »geschäftliche« Beziehung anging, schien sich zumindest von Helmuts Seite aus nichts verändert zu haben.
Im nächsten Moment spürte er Helmuts Arm um seine Schulter.
»Lass uns wieder rübergehen, wir sind schließlich zum Feiern hier! Stattdessen hast du den ganzen Abend mutterseelenallein herumgestanden und griesgrämig vor dich hin gestarrt! Glaub nicht, das wäre mir nicht aufgefallen. Kann es sein, dass du noch kein einziges Mal mit meiner Frau getanzt hast? Das solltest du schleunigst nachholen! Und ich darf nun mit Käthe über die Tanzfläche humpeln …« Helmut seufzte theatralisch. »Meine Hannah möchte unbedingt, dass ich das Mauerblümchen einmal auffordere, also bringe ich es am besten rasch hinter mich.« Er sprang davon.
Meine Hannah … Valentin sah seinem Bruder ungläubig nach. War das derselbe Mann, der noch vor wenigen Tagen wegen des schweren
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