Die Samenhändlerin (German Edition)
eine Pfeife an.
»… ist es für mich nun an der Zeit, dem Handel Lebewohl zu sagen. Ich kann nicht behaupten, dass mir diese Entscheidung leicht fällt, aber …«
Was? Wie? Hatten sie richtig gehört? War der Alte etwa krank? Die nächsten Sätze der Rede gingen im allgemeinen Gemurmel unter.
Gottlieb räusperte sich.
»Du, lieber Helmut, sollst meinen Samenstrich im Elsass erben. Ich bin mir sicher, dass meine verehrten Kunden in dir ein ehrliches Gegenüber finden, und ich bin froh zu wissen, dass du es bist, der meine Nachfolge antritt.«
Er warf einen Blick auf Valentin, der in lässiger Haltung an einem hölzernen Pfeiler lehnte.
»Davon wirst auch du, Valentin, profitieren. Denn ich würde es sehr schätzen, wenn meine Söhne weiterhin gemeinsam auf die Reise gingen. Eine gute Partnerschaft reißt man nicht ohne Not auseinander, ist es nicht so?«
Helmut stellte umständlich seinen Bierkrug ab.
»Aber Vater, wenn du nicht mehr auf die Reise gehst, was um alles in der Welt willst du dann tun? Ich meine …« Er verstummte und schaute zu Valentin hinüber, der jedoch nur mit den Schultern zuckte.
»Was dein Sohn sagen will: Du gehörst doch noch längst nicht zum alten Eisen!«, rief jemand aus den hinteren Reihen, begleitet von Gelächter.
Gottlieb Kerner grinste wohlgefällig. »Das stimmt! Ich verspüre heute noch mehr Saft und Kraft in meinen Knochen als mancher junge Kerl! Deshalb sage ich auch nicht Nein, wenn ich von höherer Stelle gerufen werde.« Nach einer Kunstpause fuhr er fort: »Ich werde noch in diesem Jahr als Gemeinderat kandidieren. Bei uns in Gönningen herrschen besondere Verhältnisse, auch wenn sich das noch nicht bis nach Tübingen herumgesprochen zu haben scheint. Es bedarf viel persönlichen Einsatzes, um die Gönninger Interessen stärker und besser beim Oberamt zu vertreten. Unser sehr verehrter Herr Bürgermeister« – hier machte er eine Kopfbewegung in dessen Richtung – »kann mit meiner vollen Unterstützung rechnen. Für keinen Botengang, für keinen Bettelgang werde ich mir zu schade sein, wenn’s dem Wohle Gönningens dient.«
Gottlieb Kerners Eröffnung, nach Ostern für das Amt eines Gemeinderates zu kandidieren, war für den Rest des Tages Gesprächsthema Nummer eins. Seine Chancen standen sehr gut, lautete die nahezu einhellige Meinung, schließlich war der Schultheiß stets darauf bedacht, die besten Männer in seinen Gemeinderat zu holen. Aber welche Funktion würde Gottlieb Kerner dann innehaben? Würde er beim Eintreiben der Steuern helfen? Würde er die unseligen Frondienste zu mindern wissen, oder würde er den Gönningern womöglich damit das Leben noch schwerer machen? Schnee schaufeln, neue Wege anlegen oder alte ausbessern – sie waren ja alle bereit, das ihre zum Wohle Gönningens beizutragen. Aber warum mussten solche Aufgaben befohlen werden, kaum dass sie von der Reise zurück waren? Durfte sich ein braver Mann nicht wenigstens von den Strapazen erholen? Schikane, nichts als Schikane war das!
Valentin seufzte, als er seinen Bruder auf sich zukommen sah. Den ganzen Tag über war er Helmut aus dem Weg gegangen, warum, hätte er nicht einmal sagen können. Eigentlich war doch alles gut so, wie es war.
Wie hatte er sich in den letzten Monaten vor dem Tag von Helmuts Hochzeit gefürchtet! Regelrecht gegraust hatte es ihn bei dem Gedanken, wie Helmut und Seraphine Seite an Seite … Doch nun, wo alles ganz anders gekommen war, blieb die erwartete Erleichterung aus, und Valentin fühlte sich irgendwie fehl am Platz. Überflüssig. Was mach ich hier eigentlich?, fragte er sich.
Bevor er sich diese Frage beantworten konnte, packte Helmut ihn am Arm und zog ihn in einen Nebenraum.
»Sag mal, hast du etwas von Vaters Plänen gewusst?«, fragte er, kaum dass sie allein waren.
Valentin schüttelte den Kopf. Gleichzeitig wunderte es ihn nicht, dass sein Vater die Hochzeit für seine Zwecke nutzte –er war schon immer für eine Überraschung gut gewesen und außerdem ein Mann der großen Gesten.
»Das Elsass, nicht schlecht, da darf man dir wohl gratulieren!«, sagte er trocken.
»Hör nur auf!«, zischte Helmut. »Du weißt so gut wie ich, dass mir am Elsass nichts liegt. Verflixt, ich frage mich, was jetzt aus unseren Plänen für die Russlandreise werden soll!«
Dasselbe fragte sich Valentin auch. Auf ihrer letzten Reise durch Böhmen hatten sie sich wochenlang über nichts anderes unterhalten als darüber, wie aufregend es wohl sein
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