Die Samenhändlerin (German Edition)
wohlhabende Stadt. Das Salz, das ›weiße Gold‹, wie es auch genannt wird, hat die Menschen reich gemacht. Und davon profitieren wir. In der Gegend gibt es viele schöne Anwesen, große Häuser, in denen sich die feinen Herrschaften jeden Handgriff von ihren Bediensteten abnehmen lassen. Dort verkaufen wir! Und meist nicht nur ein, zwei Päckchen Samen, sondern gleich größere Mengen.«
Was fangen so reiche Haushalte mit Samen aus Gönningen an?, wollte Hannah fragen, doch Käthe sprach schon weiter:
»Am meisten freue ich mich auf den Besuch bei der Salzbaronin.« Sie seufzte tief auf.
Emma nickte zustimmend. »Dorothea von Graauw ist eine tolle Frau! Im Gegensatz zu anderen reichen Leuten lässt sie es sich nicht nehmen, jedes Mal persönlich mit uns zu verhandeln. Auch ihre Familie ist durch das Salz reich geworden. Die Graauws bauen das Salz bergmännisch ab, nach einer Methode, die Dorothea wohl als junge Frau eingeführt hat. Was bestimmt nicht leicht war, denn die Männer in Schwäbisch Hall haben sicher genauso gern das Sagen wie die Männer anderswo. Aber die Salzbaronin hat sich nie um Konventionengeschert, ist einfach ihren Weg gegangen, und mag er noch so steinig gewesen sein«, erzählte sie Hannah. »Und wenn du erst ihren Garten sehen würdest, ach was sage ich Garten, ein richtiger Park ist das!«
Hannah bemühte sich um eine euphorische Miene.
»Stell dir vor, die haben einen Teich angelegt, in dem Schwäne zu Hause sind. Und dann haben sie einen Rosengarten, in dem zwischen all der Blütenpracht riesige Statuen stehen. Halbnackte Frauenfiguren in wallenden Gewändern.« Käthe kicherte, bis ihre Mutter ihr einen Schubs versetzte.
»Halbnackte Frauen – lass das nicht Dorothea von Graauw hören! Das sind römische oder griechische Göttinnen, hat sie mir einmal erklärt.«
Hannah rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. Einerseits faszinierten sie Emmas und Käthes Erzählungen. Ein Landhaus mit einem prächtigen Park, reiche Salzstädte, eine Salzbaronin – das alles konnte sie sich gar nicht vorstellen. Andererseits versetzte es ihr einen Stich, von diesen Dingen nur zu hören und sie nicht selbst zu Gesicht zu bekommen.
»Und wozu braucht jetzt eine reiche Frau wie diese Salzbaronin euren Gemüsesamen?« Jemand, der sich Marmorstatuen in den Garten stellte, hatte doch bestimmt genügend Geld, um sich sein Gemüse vom Bauern anliefern zu lassen, oder?
»Gemüsesamen – Gott behüte!« Emma und Käthe schüttelten den Kopf. »Damit haben wir nichts am Hut. Wir verkaufen nur Blumensamen. Stiefmütterchen mit hübschen Gesichtern, goldgelbe Sonnenblumen, Lobelien, die Hunderte von Blüten tragen – das ist unser Angebot. Ein Allerweltssortiment haben wir jedenfalls nicht!«
»Und wir verkaufen nicht nur, wir beraten auch«, fügte Käthe stolz hinzu. »Gerade in einem Rosengarten muss man die Blumen sorgfältig aussuchen. Stell dir nur vor, du hast einekräftig rote Rose und pflanzt zu ihren Füßen gelbe Studentenblumen – brrr! Das sähe einfach schrecklich aus!«
Hannah nickte, obwohl sie nicht erkennen konnte, was an der Kombination Rot und Gelb so schrecklich sein sollte.
»Manche Rosen blühen nur wenige Wochen im Jahr, andere den ganzen Sommer über. Im ersten Fall raten wir unseren Kunden dazu, einjährige Blühpflanzen daneben zu setzen, zarte Wicken oder Sonnenblumen zum Beispiel, so erfreut sich das Auge den ganzen Sommer über an der Blütenpracht.«
»Ich sehe schon, ihr seid wahrhafte Kenner eures Fachs«, seufzte Hannah mit leicht spöttischem Unterton. Du meine Güte, das hörte sich ja nach einer halben Wissenschaft an!
»Eigentlich seid ihr Gönninger Frauen vom selben Schlag wie diese Salzbaronin«, bemerkte sie mehr zu sich selbst.
Als sie die fragenden Blicke der beiden Frauen sah, führte sie ihren Gedanken weiter aus.
»Ich meine, es ist doch ungewöhnlich, dass Frauen allein auf die Reise gehen – nur in Gönningen nicht. Ihr geht also auch euren Weg, und das kann man sogar wörtlich nehmen.«
Käthe schmunzelte. »Vielen Dank für das Kompliment, aber eigentlich haben wir es gar nicht verdient. Kennst du den Spruch ›Besser fingerlang gehandelt als armlang geschafft‹?«
Hannah schüttelte den Kopf.
»Nun, das bedeutet, dass der Samenhandel für uns eine bequemere Möglichkeit ist, Geld zu verdienen, als das ganze Jahr über im Stall und auf dem Acker zu schuften, so wie es die Frauen in den umliegenden Dörfern tun. Und außerdem erlebt man
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