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Die Samenhändlerin (German Edition)

Die Samenhändlerin (German Edition)

Titel: Die Samenhändlerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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belohnst sie noch dafür!«
    Hannah, der es nicht passte, dass Almuth für ihre Großzügigkeit Schelte einstecken musste, sagte: »Es ist doch kein Wunder, dass die Kinder ungezogen sind. Um die Kleinen kümmert sich kein Mensch!«
    Schon ganz kleine Kinder von zwei, drei Jahren stolperten auf ihren kurzen Beinchen durch die Gassen, nachlässig beaufsichtigt von älteren Geschwistern, manchmal auch von niemandem. Die Wasser der nahen Wiesaz, ein Sturz in einen der Brunnen, ein vorbeipreschendes Gefährt – wie konnte eine Mutter ihr Kleines all diesen Gefahren preisgeben?, fragte sich Hannah. Sogar Säuglinge wurden von ihren Müttern bei älteren Verwandten in Pflege gegeben, manche waren gerade einmal ein halbes Jahr alt! Käthe hatte Hannah erzählt, dass es durchaus üblich war, die Kinder vor dem Abreisetermin im Januar oder im Oktober abzustillen, um sie in die Obhut Fremder geben zu können. Darauf würde sie sich nie einlassen!, schwor sich Hannah.
    Nach Hannahs kritischer Bemerkung war es zum ersten richtigen Streit zwischen ihrer Schwiegermutter und ihr gekommen. Ausgerechnet in Almuths Laden, so dass binnen wenigerStunden alle Daheimgebliebenen davon wissen würden! Natürlich würde man sich um die Kinder kümmern!, fuhr Wilhelmine die Schwiegertochter an. Wenn die Eltern nicht da waren, gab es immer noch die Großeltern oder andere ältere Verwandte. Ob Hannah etwa behaupten wolle, deren Fürsorge tauge nichts?
    Hannah hatte sich eine Antwort verkniffen. Den Heimweg legten die beiden Frauen in eisigem Schweigen zurück.
    Kinder liefen in Gönningen einfach mit, um sie wurde nicht viel Federlesens gemacht, das hatte Hannah tatsächlich schon bald erkannt. Andererseits hatte Helmut ihr erzählt, dass in der Gönninger Schule sogar Englisch und Französisch unterrichtet wurde und dass die Lehrer allgemein großen Wert auf Bildung legten – wie passte das zusammen?
    Helmut hatte Hannah zwar vorgewarnt, aber nie hätte sie sich Gönningens Wandel von einem lebhaften Dorf zu diesem Geisterort vorstellen können!
    Auch im Hause Kerner war es still geworden: Mutter Wilhelmine, Tante Finchen und Hannah waren die einzigen Bewohner des großen Hauses. Kein brüderliches Gezeter am Abendbrottisch, auch Gottliebs »Predigten«, wie Hannah die stets wortgewaltigen und mit viel Nachdruck geführten Reden ihres Schwiegervaters heimlich nannte, fehlten. Entgegen seiner Ankündigung bei Helmuts Hochzeit war Gottlieb Kerner nämlich doch in Richtung Elsass aufgebrochen, um seine Bestellungen auszuliefern. »Bei wem soll ich für meine Kandidatur als Gemeinderat werben?«, hatte er gesagt. »Die meisten Männer sind doch unterwegs. Und was das Organisatorische angeht, ist längst alles geregelt!«
    Hannah vermisste Helmut zu jeder Stunde: seine frechen Neckereien, wenn andere um sie herum waren, seine Zärtlichkeiten, wenn sie allein waren, seinen warmen Rücken im Bett –sie wunderte sich selbst, wie sehr er ihr fehlte. Abends drückte sie ihr Gesicht in sein Kissen, in dem sein Geruch von Tag zu Tag schwächer wurde. Alle zwei, drei Wochen kam ein Brief von ihm, doch meistens schrieb Helmut Geschäftliches, nannte Namen von Kunden, mit denen Hannah nichts anfangen konnte, erzählte von Ortschaften, von denen sie nicht einmal wusste, wo sie lagen.
    Wenn wenigstens Emma und Käthe da gewesen wären! Oder Annchen, die nette junge Frau, die sie auf ihrer Hochzeit kennen gelernt hatte. Ein Besuch am Nachmittag hätte Hannahs Alltag ein wenig aufgelockert. Doch Annchen reiste zum ersten Mal mit ihrem Mann und war deswegen noch aufgeregter gewesen als Emma und Käthe zusammen.
    So blieben nur Wilhelmine und Tante Finchen als Gesellschaft. Und das ungeborene Kind.
    Um nicht vor Langeweile zu sterben, tat Hannah, was sie ihr Leben lang getan hatte: Sie arbeitete. Ohne dass Wilhelmine sie hätte fragen müssen, bot Hannah an, die Wäsche zu übernehmen. Einmal pro Woche schleppte sie die schmutzigen Kleidungsstücke, Geschirrtücher und Laken in eines der fünf Waschhäuser und machte sich ans Werk. Gleichgesinnte traf sie dabei nur wenig – die meisten jungen Frauen waren unterwegs. Es waren vor allem alte Frauen, die ächzend und mit buckligem Kreuz die schwere Arbeit verrichteten. Hannah konnte sich nur schlecht mit ihnen unterhalten – noch immer verstand sie den schwäbischen Dialekt kaum. Trotzdem mochte Hannah den Waschtag, denn zwischen Wurzelbürste und Waschbrett vergingen die Stunden schneller als

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